Den Esel gibt’s nicht mehr. Doch! Den „Esel“ gibt’s seit mehr als 30 Jahren. Nur der Esel, der dem ehemaligen Dorfgasthof als Kulturzentrum seinen Namen gegeben hat, der steht schon lange nicht mehr im Stall hinter der Kneipe im Einbecker Ortsteil Sülbeck. Dafür kommen nahezu einmal pro Monat Töne aus dem Saal der einstigen Gaststätte. „Kultur im Esel“ heißt nicht nur der 1997 gegründete Verein, der die Konzerte veranstaltet. Kultur im Esel steht für spanische Jazz-Pianisten mit Flamenco im Sound, für türkische Gitarristen, norwegischen Kammer-Jazz, auf Ibiza lebende Saxophonistinnen oder skandinavische Singer-Songwriter. Für Weltmusik im wahrsten und besten Wortessinne. Und das sind nur die Beschreibungen einiger auf der „Esel“-Bühne in diesem Jahr spielender Musiker.
Der „Esel“ hat sich längst einen Namen gemacht in der regionalen Kulturszene und darüber hinaus. Bald 500 Konzerte stehen in der Chronik. Durchschnittlich 130 Besucher pilgern in das 400-Einwohner-Dorf bei Einbeck – vor der Corona-Pause. Gut 160 Menschen passen in den Saal, je nach Bestuhlung, ob mit oder ohne eingestreuter Tischreihe. Mittlerweile mit dem Abebben der Pandemie ziehen die Besucherzahlen auch langsam wieder an. Viele wissen, dass sie früh vor Ort sein sollten, um in den ersten Reihen mit den unnummerierten Tickets einen Platz zu finden, trinken gerne an der Theke vor dem Konzert noch ein Bier.
Die Konzert-Besucher kommen meist gut zur Hälfte aus dem Landkreis Göttingen nach Sülbeck, die andere Hälfte aus Braunschweig und Hannover, Hameln oder Hildesheim. Und natürlich aus dem Landkreis Northeim. Das liegt auch daran, dass im Dorfsaal häufig Musiker auftreten, die auf ihrer Europa-Tournee nur noch ein oder zwei weitere Male in Deutschland spielen. Der bayerische Kabarettist und Liedermacher Georg Ringsgwandl, dessen Auftritte im „Esel“ regelmäßig schnell ausverkauft sind, hat das mal so beschrieben: Vorgestern habe ich in München, gestern in Frankfurt gespielt, heute in Sülbeck und morgen in New York. Charmant hat er Sülbeck mal als „das Vorkaff vom Kaff“ bezeichnet. Wobei Einbeck dabei als Kaff gemeint ist. Die Bürgermeisterin ist trotzdem Fan: Ringsgwandl hat sie 2001 als ersten Künstler im „Esel“ erlebt, da war die gebürtige Münchnerin gerade mit ihrer Familie nach Einbeck gezogen.
Viele treue Stammgäste sind dankbar für das Musikangebot, das sie regelmäßig im „Esel“ geboten bekommen. „Manche verlassen sich auf uns und kommen, ohne dass sie die Bands vorher kennen“, weiß Jörg Bachmann. Er ist mit Ehefrau Birgit Berger der Motor des „Esel“, beide sind immer wieder auf der Suche nach neuen musikalischen Perlen, die sie für ihr Publikum in Sülbeck aufpolieren. „Wir leisten uns den Luxus, dass wir nur Musik veranstalten, die wir selbst gut finden“, sagt er. Das Publikum ist inzwischen gewissermaßen erzogen, neugierig zu bleiben.„Unsere größte Freude ist, wenn wir ganz unbekannte Leute hier haben und das Publikum anschließend sagt: Wo habt Ihr die schon wieder her, wo habt Ihr die gesehen, wie kommt Ihr nur auf eine so tolle Musik?“, erzählt Jörg Bachmann zufrieden. „Das ist das Beste, was einem als Veranstalter passieren kann.“
Und auch viele Musiker wissen längst, wo Sülbeck liegt und kommen immer wieder gerne in die Club-Atmosphäre des Dorfgasthaussaals. Das mag auch an der familiären Atmosphäre im „Esel“ liegen, die Künstler übernachten in den Ferienwohnungen im Hause, werden vor oder nach dem Auftritt von Birgit Berger bekocht. An der Kasse sitzen Mitglieder des Kulturvereins, hinter der Theke stehen ebenfalls aktive Mitglieder des Vereins.
Wie alles begann: Fünf Berliner, die schon dort in einer Wohngemeinschaft zusammengelebt hatten, suchten Anfang der 1980-er Jahre nach einem großen Haus mit einem Saal auf dem Lande. Mehr als 30 Objekte westlich von Helmstedt haben sich die Großstädter angesehen, im kleinen Sülbeck bei Einbeck wurden sie fündig und kauften im Herbst 1985 die damalige Dorfkneipe. In einer ersten Sitzung aller Vereinsvorstände des Dorfes wurden die Berliner überredet, die Dorfkneipe weiter zu betreiben. Was auch zehn Jahre lang in wechselnder Besetzung passierte. Jörg Bachmann war immer dabei und sieht heute diese Phase als wesentlich, im Dorf angekommen und integriert worden zu sein. Das bestätigt auch der langjährige Ortsbürgermeister Rolf Metje, der einräumt, damals wie viele skeptisch gewesen zu sein, ob das „die Berliner“ schaffen würden. 1996 wurde die Gaststätte aufgegeben und umgebaut zum Veranstaltungszentrum, eben den „Esel“. Noch heute finden im Saal Sängertreffen für Chöre aus dem Leinetal sowie der Plattdeutsche Nachmittag des Heimatvereins statt. Zu Konzerten kommen eher weniger Menschen direkt aus dem Dorf oder der unmittelbaren Nachbarschaft.
„Wenn ich gute Musik hier auf dem platten Land hören will, muss ich sie selber veranstalten“, sagt Jörg Bachmann, der viele Jahre als Sozialpädagoge in Göttingen arbeitete. Der „Esel“ lief „nebenbei“. Die ersten Erfolge waren Motivation, weiter zu machen. Mehrmals gab es in den 1980-er Jahren Theaterfestivals für freie Theatergruppen. „Das Theater der Nacht hat mit Workshops im Esel begonnen“, erzählt Jörg Bachmann.
Ohne Sponsoren und Unterstützer ist Kultur heute nicht möglich. Der „Esel“ weiß seit vielen Jahren einen Kreis von regelmäßigen Förderern um sich. Allein mit Eintrittspreisen oder den knapp 40 Mitgliedern des Kulturvereins wären keine Konzerte in Sülbeck zu veranstalten. Der Verein steht für qualitativ hochwertige Konzerte, setzt sich für gute Gagen ein und legt großen Wert auf eine kulturelle Vielfalt. Damit konnte der „Esel“ mittlerweile zum vierten Mal die Jury des Bundeskulturpreises APPLAUS überzeugen, 2022 gab‘s die „Auszeichnung der Programm PLAnung Unabhängiger Spielstätten“ (kurz APPLAUS) in der Kategorie „Beste kleine Spielstätte und Konzertreihe“. Der Preis ist mit einer Summe von 10.000 Euro dotiert. Das gewonnene Preisgeld erleichtert die kommende Programmplanung, neben kleineren Anschaffungen für die Bühnentechnik soll es in der Hauptsache für die Gagen der Künstlerinnen eingesetzt werden.
Ausgezeichnet ist nicht nur der „Esel“, sondern auch Gründer Jörg Bachmann. Der Bundespräsident hat Jörg Bachmann aus Sülbeck 2021 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. „Sie sind ein Vorbild, ihr jahrzehntelanger und außergewöhnlicher Einsatz geht weit über ehrenamtliches Engagement hinaus“, sagte Landrätin Astrid Klinkert-Kittel, die im Auftrag des Staatsoberhauptes die Auszeichnung ansteckte und die entsprechende Urkunde überreichte. Der „Esel“ veranstaltet nicht allein regelmäßig Konzerte und Veranstaltungen im Saal in Sülbeck. Der Verein bietet auch regelmäßig die Möglichkeit, an Bildungsreisen nach Auschwitz teilzunehmen. Und Zeitzeugen des Holocaust lesen in Schulen der Region.
Der Gründer dieser Kulturinstitution auf dem Dorf dankte bescheiden für das Bundesverdienstkreuz: Er sehe die Auszeichnung stellvertretend für alle, mit denen er in den vergangenen Jahrzehnten zusammenarbeiten durfte im Namen der ganz besonderen kulturellen Landschaft in Südniedersachsen. Jörg Bachmann: „Das ist es, was mich motiviert hält.
Am 26. Februar tritt besagter Liedermacher Ringsgwandl im Esel auf und das Konzert ist leider schon ausverkauft…
Aber am 18. März trifft mit dem „Kammerjazz Kollektiv“ klassische Kammermusik auf lebendig-erfrischende Rhythmen und virtuose Improvisation und am 21. April vermischt das „Carmen Souza Trio“ Jazz, Pop, Folk und kreolische Musik.
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Im Artikel genannt
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Kultur im Esel e.V.
Der soziokulturelle Treffpunkt der Region
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