Feuerwerk aus Jazz und Neuer Musik

Das LeipJAZZig-Orkester und das Historical Swing Dance Orchestra zu Gast

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Der Pianist, Komponist und Dirigent Stephan König hat das »LeipJAZZig-Orkester« Orchester 1998 gegründet. Die Besetzung ist für vieles gut: eine vierköpfige Holzbläsergruppe mit Flöte, Klarinetten und Saxofonen, vergleichsweise sparsam das Blech mit Trompete, Horn und Tuba (also keine Posaunen), die Rhythmusgruppe mit E- und Bassgitarre sowie Schlagzeug, Percussion und dem Orchesterleiter am Klavier, außerdem – im Jazzorchester eher unüblich – Violine und Violoncello. Macht zusammen 13 Musiker plus eine Musikerin, nämlich Cellistin Ulrike Strobel. Damit kann man schon ziemlich druckvoll arbeiten, doch lässt sich König nicht dazu verführen, Phon-Orgien zu veranstalten. Gehörschutz braucht man bei den LeipJAZZigern zum Glück nicht.

"Ein paar Improvisationen"

Der Abend war zweigeteilt. In der ersten Hälfte zollten die Gäste den Jazz-Klassikern Duke Ellington und George Gershwin ausführlich Tribut, in der zweiten Hälfte präsentierten sie Themen von Hanns Eisler (1898-1962) sowie die Eisler gewidmete Komposition „Sieben Arten den Regen zu beschreiben“ von Bandleader König. Gern eröffnet König in seinen Arrangements die Standard-Titel mit einer ausführlichen Introduktion der Rhythmusgruppe, bevor das Thema sich entfalten darf. Und gern würzt er seine Arrangements mit „ein paar kleinen zusätzlichen Improvisationen“, wie er bescheiden anmerkte.

Bescheiden deshalb, weil diese „kleinen“ Improvisationen bisweilen zu virtuosen, ja wilden längeren Passagen heranwachsen, in denen die Musiker ihr solistisches Können ausführlich vorführen können. Es gibt noch eine zweite Würze. Das sind Ausflüge in kontrastierende stilistische Regionen. Da gibt es durchaus den Groove der 2020er-Jahre, rockige Härte, Elemente der Neuen Musik, aber auch Zitate aus anderen Zeiten. So hätte wohl niemand erwartet, dass sich mitten in Ellingtons „It Don’t Mean a Thing“ wienerische Dreiertakte aus der Straußschen „Fledermaus“ einschleichen dürfen.

Pianistische Kaskaden

Auf Ellington folgt Gershwins „I Got Rhythm“ („Da habe ich mehrere Titel in einen Topf geworfen, die rührte ich um“), ebenfalls mit bemerkenswerten solistischen Einlagen und enorm viel Power. Höhepunkt vor der Pause: Gershwins „Rhapsody in Blue“, ein verkapptes Konzert für Jazzpiano und Orchester, in dem König seine bestechende Virtuosität glänzend entfaltete. Er kann schon mit wenigen Akkordtupfern Atmosphäre schaffen, lässt Gershwins Themen sanft singen und pathetisch strömen, verwirbelt sie in pianistischen Kaskaden, gibt seinen Kollegen immer wieder Freiräume und meldet sich dann wieder nachhaltig selbst zu Wort. Das war ein wahres Feuerwerk.

Ähnlich wie in Gershwins „I Got Rhythm“ hatte König Passagen aus verschiedenen Orchestersuiten Hanns Eislers zu einem Potpourri zusammengerührt. Eisler – unter anderem Komponist der DDR-Hymne „Aiferstanden aus Ruinen“ – war dem Jazz nicht unbedingt zugetan, wie König berichtete. Deshalb war auch auf weite Strecken das Arrangement Königs dem spezifischen Eisler-Sound verpflichtet, eine transparente, gestenreiche Musik mit klaren Konturen, die auf Schnörkel und anderen Zierrat verzichtet. Damit stellte das Orchester seine stilistische Vielseitigkeit überzeugend unter Beweis.

Mit dem Titel seiner Eisler-Hommage verrät König abermals eine bemerkenswerte Bescheidenheit. Vorbild für seine Komposition ist Eislers Kammermusikstück op. 70 „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“, eine Begleitmusik zu Joris Ivens’ stummen Dokumentarfilm „Regen“ aus dem Jahr 1928. König begnügt sich mit der Hälfte, nämlich mit „Sieben Arten den Regen zu beschreiben“. Das musikalische Tröpfeln beherrscht er vorzüglich. Und dank zahlreicher solistischer Einlagen der Bandmitglieder – unter anderem ein fantastisches, lautstark beklatschtes Schlagzeugsolo von Wieland Götze – dauert seine abwechslungsreiche, fantasievolle Komposition sogar noch etwas länger als die knappe Viertelstunde, die Eisler für sein Kammermusikstück braucht. Brausender Beifall, zwei Zugaben von Ellington und Cole Porter.

Tanz im Ballsaal

Auch der späte Abend war am Freitag in Freden dem Jazz gewidmet. Im Ballsaal des Hotels Steinhoff gastierte das Leipziger „Historical Swing Dance Orchestra“ mit Musik der 1920er und auch späterer Jahre. Seine Spezialität sind Arrangements nach den Originalaufnahmen aus dieser Zeit. Zwischen dem Orchester und den Stuhlreihen für Gäste, die nur zuhören wollen, gab es zum Tanzen reichlich Platz, der nach kurzem Zögern auch gern genutzt wurde.

Das Repertoire des neunköpfigen Orchesters hat Pianist Martin von der Ehe zusammengetragen. Er hat etwa 80 alte Schelllackplatten sorgfältig abgehört und konnte so die ursprünglichen Arrangements in ihrer Originalgestalt rekonstruieren. Darunter sind Stücke von Gene Kardos, Fred Astaire, Fats Waller, Tommy Dorsey, Benny Goodman, Artie Shaw, Duke Ellington und anderen sowie von der 1934 gegründeten deutschen Band der Bandleader „Goldene Sieben“, zu deren Musikern Willy Berking, Franz Thon, Kurt Wege, Peter Igelhoff, Georg Haentzschel und Freddy Brocksieper gehörten – Namen, die auch in der Unterhaltungsmusik der frühen Nachkriegszeit einen guten Klang hatten.

Mit „Business in F“ von Gene Kardos (1930) eröffneten die Leipziger Musiker das Programm, gefolgt von „When I Take My Sugar to Tea“ des Nat King Cole Trios (1947). Wenn die Bläser mal eine Pause brauchten, verschaffte ihnen der Pianist zusammen mit seiner Rhythmusgruppe mit Ragtimes („Maple Leaf Rag“) kleine Verschnaufpausen. Und siehe da, nachdem die Musiker dem zögerlichen Publikum versichert hatten, man könne tatsächlich auch erst einmal „im Sitzen anfangen“, begannen einige Paare, am Rande stehend, mit den Fußspitzen zu wippen. Und dann kamen die ersten beiden Mutigen, nämlich Adrian Adlam, der künstlerische Leiter der Musiktage, zusammen mit Aline Faass, der Vorsitzenden des Fördervereins. Damit war der Bann gebrochen, die Tanzfläche füllte sich zusehends. Mit Stücken wie „Cheek to Cheek“ – von Irving Berlin für den Film „Ich tanz’ mich in dein Herz hinein“ mit Fred Astaire (1935) geschrieben – war das Motto für den sich anschließenden sehr unterhaltsamen, wunderbar altmodischen Abend formuliert.

Wer sich näher mit den ausgefeilten Arrangements von Martin von der Ehe befassen möchte, kann auf der Homepage des Orchesters (www.historicalswingdanceorchestra.com) unter dem Button „Media“ den Sound der Leipziger mit dem Originalklang der Schelllackplatten vergleichen. Besonders hübsch: Bei der Swing-Orchestra-Aufnahme von „Dream Man“ (Fats Waller 1934) ist sogar ein bisschen Plattenknistern beigemischt.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.

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