Glaubt man dem Islamwissenschaftler Thomas Bauer, so leben wir heute in einem Zustand zunehmender Ambiguitätsintoleranz. Die moderne, globale Gesellschaft ist ambiguitäts-intolerant geworden, während die wichtigsten menschlichen Erfahrungen eigentlich immer von Ambiguität gekennzeichnet sind. Menschen werden gezwungen, sich zu eindeutigen Identitäten zu bekennen, während das Leben voller Zweideutigkeiten steckt.
Letztendlich führt dies nicht nur zu einem Verlust an Vielfalt und Pluralität, sondern sogar zu einem Verständnis von Menschen als ´Maschinenmenschen´ (Bauer), die vollkommen kalkulierbar handeln und keinen Sinn mehr für das Mysterium des Lebens haben. Religiöse Traditionen aber, die in einem solchen Kontext ihre Selbstverständlichkeit verloren haben, leben gerade von der Gnade der Mehrdeutigkeit und der Sensibilität für paradoxe Zusammenhänge. Es war der französische Philosoph Maurice Blondel (1861-1949), der die Bedeutung des Christen-tums in seiner etwas unterschätzten Philosophie de l´action deutlich machte. Gleichzeitig macht Blondel deutlich, dass das Christentum selbst zu dieser Ambiguitätsintoleranz beiträgt, gerade wenn es sich von der Mystik entfernt. Eine Wiederentdeckung der Mystik kann zu einer Gesellschaft beitragen, die wirklich offen für Vielfalt und Pluralität ist.
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