Zwischenmenschliche Interaktion in kapitalistischer Manschette

„In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ im Deutschen Theater

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Jenes wird sowohl visuell als auch auditiv transportiert durch außerirdische Choreografie und übersinnliche Musik. Mithilfe dezentraler Platzierungen, künstlerischer Akrobatik vermischt mit abrupten und stockenden Bewegungen, die der Menschlichkeit entfremdet wirken, erschafft der Choreograf Valentí Rocamora i Torà eine Tanzschrift von expressiver und sinistrer Wirkmacht. Geisterhaft erscheint die Abwechslung von filigranen Windungen, die an das Ballett erinnern, und der originellen Ästhetik, die beispielsweise durch das hektische, unnatürliche Kriechen über den Bühnenboden geschaffen wird.

Vollendet wird dieser unheimliche, düstere Eindruck durch Toràs Auswahl der Musik. Der artistische, entfremdende Tanz ist dabei begleitet von einem panisch-klimaktischem Metrum, der von dämmrigen Elementen wie dem schwermütigen Läuten von Kirchenglocken ergänzt wird. Doch auch hier sticht besonders die passende Kombination des Unpassenden hervor. Ganz im Zeichen der grenzüberschreitenden Dämmerung verbindet Torà klassische Operngesänge mit den Stücken „America“ aus dem Broadway-Klassiker „West Side Story“ sowie „Anyone Who Knows What Love Is (Will Understand)“ von Irma Thomas, schafft damit eine tiefgreifende Abkehr von der gewohnten Realität, die besonders das Unwirkliche in den Vordergrund hebt.

Besondere Intimität, unmittelbarer Kontakt

Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Zuge den Darsteller:innen und Tänzer:innen Tirza Ben Zvi, Germán Hipolito Farias, Paweł Malicki und Anna Paula Muth. Einzig mit der Expression und Eleganz der Körpersprache legen diese das Hauptaugenmerk auf den Deal, bestehend aus nichts weiterem als menschlicher Wechselbeziehung. Die besondere Intimität und der unmittelbare Kontakt zeichnen das Bild jener ultimativen Transaktion. Es wird deutlich: Hier geht es um das Absolute, um alles oder nichts, die Gefahr des totalen Verlustes wie auch die Chance auf höchsten Gewinn. Gegensätzlichkeit und ihr spektraler Spielraum sind Gegenstand der unwirklichen Inszenierung, und werden von den Darsteller:innen in jedem exakt ausgeführten Tanzschritt von der immateriellen Idee in die Visualität überführt.

Mit jener Interpretation des Stücks „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ schaffen Regie, (ebenfalls Valentí Rocamora i Torà) sowie Dramaturgie (Matthias Heid) ein Werk, das mit dem Philosophieren durch das Optische bewegt. Der Verführung, Dominanz und Anziehung des Dealers stehen das Verlangen, die Obsession und Verweigerung des Kunden gegenüber. Die Komplexität des kapitalistischen Warenaustauschs sowie die Kommodifizierung des Menschlichen und der Emotionen werden mit entromantisierender Bildgewalt hervorgehoben. Ein Wunsch birgt immer auch ein Risiko, der Verkauf des eigenen Selbst in einer zwischenmenschlichen Transaktion bedeutet in diesem Fall das Potenzial des absoluten Verlustes. Übrig bleibt dabei folgende Warnung: Ein Kauf ist immer auch ein Kampf.

Kulturbüro

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Antonia Fiege

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

Fokus

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Im Artikel genannt

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Bild
Außenaufnahme Nacht Göttingen Deutsches Theater

In der Einsamkeit der Baumwollfelder

Die Dämmerung ist eine Zeit des Übergangs, in der es nicht mehr hell und noch nicht dunkel ist, in der der Tag bereits geht und die Nacht noch kommt: eine Zwischenzeit der Unklarheit und Möglichkeiten, eine Grauzone, die viel verbietet und ebenso viel erlaubt. Zu dieser Stunde treffen Dealer und...

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