Zirkus – ist das Kultur? Sascha Melnjak muss bei dieser Frage nicht lange nachdenken. Selbstverständlich gehöre der Zirkus zur Kultur, sei er doch das Theater des Volkes für alle Altersklassen, für die ganze Familie. Der 48-jährige gebürtige Stuttgarter ist Chef des einzigen Zirkus, der in Südniedersachsen seine Heimat hat, genauer gesagt in Einbeck, im kleinen Dorf Volksen direkt an der Leine. Von dort aus zieht das mittelständische Unternehmen mit seinen rund 100 Mitarbeitern aus elf Nationen durch Deutschland, gastiert mit seinem 13 Meter hohen Zelt in diesem Jahr in 32 Städten, von Braunschweig bis zum Bodensee.
2007 hat sich der gelernte Kaufmann einen Kindheitstraum erfüllt, den damals zum Verkauf stehenden Zirkusbetrieb gekauft. Melnjak ist ein Quereinsteiger in der Zirkusbranche und bis heute eher im Hintergrund der Manege oder im Büro zu finden – also kein typischer Zirkusdirektor mit Frack und Zylinder. 2013 wechselte der Zirkus Charles Knie nach Einbeck ins frühere Winterquartier des Zirkus Barum, der damals seinen Betrieb einstellte.
Der Kauf des 50.000 Quadratmeter großen Areals, eines ehemaligen Gutshofs, habe sich als Glücksgriff erwiesen, erinnert sich Sascha Melnjak. Zuvor hatten Tiere und Artisten in der Nähe von Papenburg in einer alten Schiffswerft während des Winters Quartier gemacht. Mit den idealen Verhältnissen, den großen Stallungen und den Wiesen am Leineufer in Volksen sei das nicht zu vergleichen. Durch die lange Tradition des Zirkus Barum in Einbeck habe er schon vermutet, dass die Menschen hier zirkusfreundlich seien. Die Realität habe das noch deutlich übertroffen: Vom Hufschmied über die Beschriftungsfirma bis zu den Nachbarn – alle seien offen und freuen sich über das exotische Unternehmen. „Hier haben wir das Gefühl, als Zirkus willkommen zu sein“, sagt Melnjak.
Das hat sich bis heute nicht geändert. Bedingt durch die Corona-Pandemie, die durch ausfallende Tourneen die Zirkusleute zur Zwangspause verdammt hatte und noch kreativer werden ließ, hat sich das Winterquartier in Volksen als „Circus-Land“ einen Namen gemacht. Entstanden in der Pandemie-Phase, öffnet der Freizeitpark auf dem weitläufigen Gelände auch in diesem Sommer wieder seine Tore - Familienspaß mit kleiner Achterbahn, und mit vielen Tieren und Vorstellungen in einer zur Manege umgebauten Halle.
Sascha Melnjak ist vom Zirkus-Virus schon früh infiziert worden: „Mit sechs Jahren war ich mit meiner Oma das erste Mal in einem Zirkus – damals im Circus Corty Althoff. Von da an wusste ich, dass ich später einmal in einem Zirkus arbeiten möchte.“ Nach absolvierter kaufmännischer Ausbildung war Melnjak in unterschiedlichen Zirkusbetrieben als Pressesprecher, Tourneeleiter und Geschäftsführer tätig. 1999 gründete er den Heilbronner Weihnachtscircus, eine große Zirkusproduktion zur Weihnachtszeit, den er bis heute äußerst erfolgreich veranstaltet. Seit 2012 ist er zusätzlich auch für den Offenburger Weihnachtscircus verantwortlich.
„Zirkus ist mein Leben, ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen“, sagt der 48-Jährige. „Faszinierend ist für mich das ständige Umherreisen, viele Leute kennenzulernen und mit den verschiedensten Nationalitäten und Mentalitäten sowie Tierarten auf engstem Raum zusammen zu leben und zu arbeiten.“
Das alles ging in den vergangenen beiden Jahren pandemiebedingt nicht. „Während Corona hatten wir Zeit zum Nachdenken“, erzählt Sascha Melnjak. Zum Neustart, sobald dieser wieder möglich war, wollte der Zirkus mit etwas Neuem aufwarten. Da kam die Artisten-Familie Urunov genau richtig. Sie hatte den Stillstand genutzt und eine Wassermanege konstruiert. In dieser können durch die Art der Konstruktion nur noch wenige Tiere mit den Artisten zusammen auftreten: Papageien und Hunde. Die Wassershow zeige man allerdings nicht deshalb, um nicht weiter mit Tieren auf Tournee zu gehen, macht der Zirkuschef deutlich. Melnjak ist ein Verfechter des Zirkus mit Tieren. Lamas, Kamele, Pferde und Rinder besitzt der Zirkus Charles Knie weiterhin, doch sie bleiben im „Circus-Land“ in Einbeck.
Während in Nordrhein-Westfalen der Zirkus seit 2022 als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist, wird in Niedersachsen über ein Wildtierverbot diskutiert, das bundesweit eingeführt werden soll. Das ärgert den 48-Jährigen. Kommunale Wildtierverbote, Plakate-Vandalismus und Demonstrationen von Tierrechtsorganisationen wie Peta erhöhten den wirtschaftlichen Druck auf die Zirkusse, räumt Melnjak ein. Er schaue seit Jahrzehnten hinter die Zirkus-Kulissen und wisse daher, wie gut die Tiere behandelt werden, welche hohen Auflagen während der Tournee regelmäßig kontrolliert werden.
Die Wasser-Show bedeute nicht, dass der Zirkus Charles Knie keine Tournee mit Tieren mehr machen werde, stellt Sascha Melnjak klar. Alle zwei Jahre produziere der Zirkus ein komplett neues Programm, da müsse man sich dann auch wieder neue Impulse ausdenken. Und günstiger ist es mit der Hightech-Manege ohnehin nicht, wobei bei der Tournee mit Tieren noch mehr Wasser verbraucht worden sei.
In diesem Jahr jedenfalls geht der Zirkus Charles Knie mit der nach eigenen Angaben größten mobilen Wassermanege auf Tour. Sie hat im vergangenen Jahr ihre Feuerprobe bestanden, kann mit einem reisenden Zirkus unterwegs sein, immer wieder im Zelt auf- und abgebaut werden. Unzählige Teile müssen wie eine Torte millimetergenau zusammengefügt werden. Das dauert genau so lange, wie das gesamte Zelt mit seiner Bestuhlung und Einrichtung aufzubauen. Drei Sattelauflieger transportieren ausschließlich das Equipment der Wassermanege von Ort zu Ort. Einen Tag dauert der Aufbau. Nach schlaflosen Nächten, ob das wohl mobil funktionieren würde, ist Zirkuschef Sascha Melnjak inzwischen nicht nur von der technischen Machbarkeit überzeugt. „Die Tournee im vergangenen Jahr war megamäßig erfolgreich, wir hatten eine euphorische Begeisterung des Publikums“, freut sich der 48-Jährige, dass auch das veränderte Programm bei den Menschen ankommt. „La-ola-Wellen im Zirkuszelt habe ich vorher noch nie erlebt.“
Im Mittelpunkt des Zirkuszelts mit 38 Metern Durchmesser steht die Wassermanege mit ihren 100.000 Litern Wasser. Herzstück sind die 300 Pumpen, die bis zu 15 Meter hohe Fontänen erzeugen können. 500 LED-Lampen sorgen für die passenden Lichteffekte, auf drei Ebenen ist die Bühne hydraulisch ausfahrbar. Im ersten Corona-Jahr hat Ruslan Urunov, eigentlich Artist, mit seiner Familie an dem bislang einmaligen Konstrukt getüftelt, vieles ausprobiert mit Schweißgerät und Rundbogenmaschine. „Das war ein Experiment“, sagt er. 2021 stand die Wassermanege im Circus-Land in Volksen, seit vergangenem Jahr geht der Zirkus damit auf Tournee. Mittlerweile hat der Kasache ein Patent auf die Wassermanege, die er an den Zirkus vermietet. „Mobile Bühnenaufbauanordnung“ nennt sich das Gebrauchsmuster Nummer 20 2020 106 840 im Verwaltungsdeutsch. Das Unikat fährt Ruslan Urunov vom Mischpult aus technisch selbst, steuert die Pumpen und Leuchten. In der Wassermanege steht dann unter anderem auch Tochter Laura bei unterschiedlichen Nummern mit Papageien, Windhunden sowie Pudeln.
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