Eine glückliche Yeva feiert ihren 12. Geburtstag mit freundschaftlichen Umarmungen und vielen Geschenken. Vielleicht wird sie nie wieder so strahlen wie an diesem 14. Februar 2022, weil in den Morgenstunden des 24. Februar eine russische Rakete direkt an ihrem Fenster vorbeirast. Aber auch diesen Moment will sie erinnert wissen und notiert ihn in ihrem Tagebuch. Krzyztof Minkowki hat das Kriegstagebuch von Yeva Skalietska dramatisiert, das in seiner Inszenierung am Jungen Theater uraufgeführt wurde.
»Ihr wisst nicht, was Krieg ist.«
Mit der schmerzhaften Chronik einer jungen Ukrainerin über die Todesängste, die Fluchtstationen und den Überlebensalltag, der sich auf der Bühne die Form eines Hörspiels annimmt. Vier Schauspieler:innen geben ihr eine Stimme für ihre Worte und ihre Herztöne
Die langanhaltende Stille wird von einer beklemmenden Wirkung durchdrungen, während das Bühnenlicht einen weißen Raum ganz sanft erhellt. Fynn Knorr, Malin Kraft, Jens Tramsen und Tyra Uhde bilden zunächst eine gemeinsame Skulptur, die noch eine Zeitlang stumm verweilt, bis sich ein Chor von Stimmen mit einem Aufschrei entlädt. „Wie dieser Krieg meine Kindheit zerstörte“ hatte junge Chronistin ihrem Tagebuch anvertraut und dass sie ihre Gefühle mit diesen Seiten geteilt hat. Dann bringen die vier Schauspieler:innen mit strahlenden Gesichtern den Raum für das Geburtstagsfest noch einmal zum Tanzen, bevor der Horror einsetzt.
Mit den Blicken von Angst und Panik, bis sich ihre Körper verkrampfen, am Boden krümmen oder in einer Nische verschwinden, um sich für das nächste Kapitel des Kriegsalltagsentsetzens wieder aufzurichten für einen Monolog oder für einen Chor von Worten, die sie mit ihren Stimmen fassbar und berührbar machen.
„Jeder Tag wiegt schwerer auf meiner Seele.“
Die Tagebuchseiten, die Regisseur Kzysztof Minkowsi in ein tief berührendes szenisches Oratorium übertragen hat, haben oft eine erschreckend sachliche Färbung, auch wenn die junge Chronistin von Panikattacken berichtet, von dunklen Kellern, in die sie mit ihrer Oma Schutz suchte, von Raketen und Panzern, die ihre Heimatstadt Charkiw verwüsteten und auch ihr Zuhause. Doch auch später, wenn sie Fahrt in die Westukraine und die hilfreichen Rot-Kreuz Samariter beschreibt oder die Grenzkontrolleure, die ihr und der Oma dem Fluchtweg nach Ungarn zunächst verweigert, meldet sich immer wieder die Stimme der Verzweiflung zu Wort. Die lässt sich nicht einfach hoffnungsvoll ermutigen, wenn ein irisches Film-Team den Beiden beiseite steht, damit sie in Irland eine sichere Zuflucht bei einer Familie finden. Da sind die Nachrichten und immer wieder die von SchulfreundInnen, für die der Krieg weitergeht, die Angst vor Raketen und deren Zerstörungswut, den Trümmern, den Stromsperren und der Suche nach dem nächsten sicheren Ort, noch weiter weg von zu Hause, weil ihre Kindheit in Schutt und Asche liegt. „Jeder Tag wiegt schwerer auf meiner Seele“, hat Yewa in ihrem Kriegs-Tagebuch notiert. „Es zerreißt mir die Seele“.
Es sind allein die Worte, die die Verzweiflungsschreie auf der Bühne spürbar werden lassen, kein szenischer Aufruhr und kein Unterton, der mit einer Form von Betroffenheit grundiert ist. Krzsysztof Minkowki verweigert dem Kriegs-Tagebuch von Yeva Skalieska in seiner Inszenierung auch jede Form von visueller Ablenkung. Es gibt keine Requisiten in diesem leeren Raum, der manchmal in farbige Lichtstimmungen getaucht wird. Er vertraut auf die Gedankenchoreografie, die das JT-Ensemble mit sparsamen Gesten hörbar und berührend macht. Selbst die musikalischen Motive in den Arrangements von Fred Kerkmann mit einem Song der »Cranberries«, den Klangbildern von Boris Breja und Samuel Barber und dem Zitat aus Beethovens »Mondscheinsonate« drängen sich nicht als dramatische Verstärkung des Textes auf. Sie umspielen ihn sanft und sensibel, bis wieder ein Nachrichtenaufruhr einsetzt, bei dem die heimatlose Chronistin noch einmal von ihrer glücklichen Kindheit berührt wird, die sich in eine Trümmerlandschaft verwandelt hat.
Mit einer Aufnahme ihrer wunderschönen Plüschkatze Tschupapapejla, die ihr aus dem zerbombten Schlafzimmer zublinzelt. Nichts wusste sie damals, bevor sie Tagebuch schrieb, was Wörter wie Angst, später, Alarm, Schuld, Heimat, Kerze, Liebe, Soldaten, Bunker, Familie, zu Hause noch alles bedeuten, die der Schauspielchor jetzt wie ein Kriegswörterbuch abruft. Yanas Appell „Wir sind Kinder und wir haben ein Recht auf Frieden“ gleitet über in eine langanhaltende Stille, als ob ihre Gedankenechos jetzt einen Raum ganz für sich brauchen, bis das Publikum mit seinem Beifall auch die junge Chronistin umarmt.
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