Von Geheimnissen, Lügen und menschlichen Abgründen

Premiere von »Die Nacht als Laurier erwachte« im Deutschen Theater

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Scham, Wut, Schuld und lang vergrabene Geheimnisse, die ans Licht kommen. Darum geht es in »Die Nacht als Laurier erwachte«, das am Samstagabend Premiere im Deutschen Theater in Göttingen hatte. Es handelt von Mimi (Yana Robin la Baume), die berühmte Bestatterin ist und nach dem Tod ihrer Mutter zurück in die Heimat kommt. Dort trifft sie ihre drei Brüder wieder, die das Heimatdorf nie verlassen haben. Auf den ersten Blick scheint es, als könnte die entfremdete Familie sich wieder versöhnen. Stattdessen treten unverarbeitete Traumata, Drogenprobleme und Homophobie zu Tage und mischen sich in dem Stück unter der Regie von Michael Letmathe zu einer makaberen Mischung aus Witz, Ehrlichkeit und der Erforschung menschlicher Abgründe. 

Das Stück berührt zutiefst. Das ist zu einem großen Teil der außergewöhnlichen Leistung der Schauspielenden zu verdanken. Viele der Dialoge kennen das Publikum so oder so ähnlich aus eigenen komplizierten Familienbeziehungen und die Dynamik zwischen den Darstellenden sorgt dafür, dass das Stück erstaunlich nah geht. Es gibt Mimi, die mit gruseliger Intensität davon erzählt, wie sie als Kind in fremde Häuser geschlichen ist und die Menschen beim Schlafen beobachtet hat. Elliot (Moritz Schulze), der mit Drogenproblemen kämpft, nervös und schnell spricht und mit dem man sogleich mitfühlt und der der Situation seiner Familie nicht gewachsen zu sein scheint. Dennis (Paul Trempnau), der auf Mimi wütend ist, ihr vorwirft, die Familie im Stich gelassen zu haben und schließlich der älteste Bruder, Julien (Roman Majewski), der seit ein paar Jahren clean ist und lange Schimpftiraden auf die Jugend von heute hält.

Der Tod der Mutter, der die Geschwister wieder zusammenbringt, ist die gesamte Dauer des Stücks sehr präsent. Die Mutter (Inge Mathes) liegt im Vordergrund still und leblos auf der Bühne. Mal wird sie von einem Leichentuch bedeckt, mal kämmt Juliens Frau Chantal (Nathalie Thiede) ihr die Haare, dann lackiert Elliot seiner Mutter liebevoll die Nägel. Die beeindruckende Leistung der Schauspielerin sorgt für ein beabsichtigtes Maß an Unbehaglichkeit beim Publikum und man erschreckt beinahe, als Inge Mathes für die Schlussapplaus-Verbeugung aufsteht. Das Bühnenbild (Florence Schreiber) tut sein Übriges, um diese Atmosphäre zu verstärken: in grellem kaltem Licht erstrahlt der Versorgungsraum des Bestattungsinstituts, in dem die tote Mutter präsentiert wird. 

Zutiefst bewegendes Schauspiel

Diese Unbehaglichkeit wird dem Publikum aber durch den düsteren Humor des Stücks erträglicher gemacht. Elliot erklärt: «Unangemessene Witze drücken ein Unbehagen aus». Die Mischung aus Humor und hartem Ernst hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Sätze wie «Warum bin ich nur ein riesiger Haufen Probleme und sonst nichts?» und «Hört auf, nur Leere hervorzubringen!» fallen, gefolgt von Sätzen wie «Zum Glück wird gestorben, sonst bekäme man dich ja gar nicht mehr zu Gesicht». Diese Aussagen ergänzen sich, statt sich zu widersprechen und bilden die zerrüttete Familiendynamik der Geschwister ab. Dazu sieht man nach und nach mehr von der Psyche der Figuren. Geheimnisse und Lügen kommen ans Licht, die überraschen und schockieren und sobald man glaubt, man wüsste, in welche Richtung sich das Stück entwickelt, wird man eines Besseren belehrt. 

Ganz besonders berührend wird das Stück außerdem durch die musikalische Begleitung. Elliot singt und gibt Einblick in sein verstörtes Innenleben. In einer anderen Szene stehen die Geschwister gemeinsam vor der toten Mutter und beginnen in schauriger Harmonie zu summen und zu singen. Es klingt harmonisch und zeigt die fragwürdige Einheit, die diese Familie verbindet und zusammenhält, seit der Nacht in der Laurier erwachte. 

Es ist ein zutiefst bewegendes Schauspiel, das im deutschen Theater aufgeführt wird. Dabei scheut es nicht davor zurück, zu verstören und zu schockieren. Weder verharmlost das Stück die Themen, die es behandelt weder, noch schlachtet es sie unnötig aus, um eine Reaktion des Publikums zu provozieren. Das hat es auch gar nicht nötig. Stattdessen erzählt es erschreckend realistisch von defekten Familienbeziehungen und der Gefahr von Lügen und Geheimnissen. Das Stück anzuschauen, ist auf jeden Fall empfehlenswert. Dabei sollte man sich darauf vorbereiten, sich über das Theaterstück noch lange Gedanken zu machen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Miriam Bode

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

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Im Artikel genannt

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Bild
Außenaufnahme Nacht Göttingen Deutsches Theater

Die Nacht, als Laurier erwachte

Brichst du nachts immer noch in Häuser ein?

Als ihre Mutter stirbt, kehrt Mimi zurück in die Heimat, in die tiefe Provinz. Sie hat sich komplett von der Vergangenheit und ihrer Familie gelöst. Inzwischen ist sie eine berühmte Bestatterin und kümmert sich um extravagante Abschiedszeremonien für Stars und ehemalige Staatsoberhäupter. Auch die...

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