Perfektionistische Proben, ein eindrucksvolles Bühnenbild, überzeugende Kostüme – hinter so einem Theaterstück steckt ganz schön viel Arbeit. Umso schlimmer, wenn die monatelange Konzeption durch einen kurzfristigen und unvorhergesehenen Zwischenfall zunichte gemacht wird. Das dürfte auch die Zuschauer im Deutschen Theater Göttingen am 20.10. ziemlich frustriert haben, denn diese waren eigentlich vor Ort, um in den Genuss eines spektakulären Musicals zu kommen. Doch was soll man machen, wenn nicht nur die Hauptdarstellerin unter einer Stimmbandentzündung leidet, sondern gleich der ganze Chor nicht erscheint, weil die Gewerkschaft deutscher Bühnenangehöriger zum Streik aufgerufen hat?
Für solche unglücklichen Zwischenfälle hat die Theaterbranche eine elegante Lösung parat. Den Universalschauspieler David (Christoph Türkay). Mit nur einem einzigen Darsteller im Ensemble lässt die Regie (Sarah Kurze) das Stück „Showtime (ein enttäuschender Abend)“ von Felix Krakau wirken, als handele es sich um einen tatsächlichen Ausfall und Türkay sei der Ersatzmann. Dieser überzeugt fast eine ganze Stunde lang im Alleingang als charismatische, und an manchen Stellen auch als ziemlich tragische Reserve, die die Enttäuschung des Publikums irgendwie zu kompensieren versucht. Das Repertoire ist dabei vielfältig, denn die Ausbildung zum Universalschauspieler stattet seine Lehrlinge mit 50 klassischen Rollen sowie 50 Rollen des modernen Theaters aus.
Improvisierte Szenen aus Shakespeares „Romeo und Julia“, „Hamlet“ oder auch „Richard III.“ stellen deshalb kein Problem für das Multitalent dar. Neben animierenden Vorträgen und urkomischen Anekdoten wird es dabei zwischenzeitlich berührend und emotional. Während David am Anfang vor Begeisterung von seinem Beruf schwärmt, gesteht er sich später ein, dass er vielleicht doch ein klein wenig versagt hat. Enttäuschung eben. Weniger enttäuschend ist allerdings die schauspielerische Leistung von Christoph Türkay. Die emotionalen Ausfälle des vom Leben enttäuschten Schaustellers meistert dieser mit genauso viel Bravour, wie die euphorischen und ekstatischen Unterhaltungseinlagen, die das Publikum von seiner bitteren Enttäuschung ablenken soll. Wie bereits angedeutet, lässt Türkay seinen Auftritt derartig authentisch wirken, dass man als Zuschauer:in vergisst, dass es sich um ein fiktionales Stück und nicht um einen realen Einsprung handelt. Raffinierte, bewusst ausgeklügelte Monologe erscheinen spontan und unüberlegt. Zu keinem Zeitpunkt wirkt der Auftritt, als sei er nicht der Spontanität eines Improvisationstalents zu verdanken.
Außergewöhnliches Theatererlebnis
Auch der sparsame Einsatz von Requisiten verstärkt diesen Eindruck. Ein paar weniger glaubwürdige Kostüme an einer Kleiderstange, ein Notfall-Requisitenkoffer und eine Fernbedienung für Sound-Effekte. Vielmehr hat Türkay nicht, setzt aber sein vorhandenes Ingenium exakt so ein, dass kein Moment entsteht, in welchem das Publikum nicht zum Lachen gebracht werden könnte.
Was macht man überhaupt, wenn sich auf der Bühne nicht mal ein Dialogpartner befindet? Richtig, man bedient sich bei eben diesem Publikum! So hatte spontan eine Zuschauerin die Ehre, Julia in der berühmt-berüchtigten Balkon-Szene spielen zu dürfen. Die Unkonventionalität der Vorstellung, welche vergessen lässt, dass es sich dabei um eine konzeptionierte Aufführung handelt, wird mithilfe der Zuschauerschaft so weit auf die Spitze getrieben, dass auf ein klassisches Ende verzichtet wird, indem diese auf die Bühne gerufen wird, damit der bescheidene David unauffällig in der Menge verschwinden kann.
Statt Enttäuschung hinterließ der Abend also ein außergewöhnliches Theatererlebnis, das mit der richtigen Mischung an Comedy, Unterhaltung und sympathischer Tragik daherkam und vor allem durch die Tatsache brilliert, dass ein einziger Schauspieler mit seiner emotionalen Vielseitigkeit, vermeintlichen Spontanität und bestechender Authentizität das Rampenlicht vollständig für sich einzunehmen wusste.
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