Stadthalle Göttingen: Modernste Multifunktionshalle Europas

Ein Kommentar

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Fangen wir im wahrsten Sinne des Wortes vorne an: wer unten im Parkett weiter vorne sitzt, hat gleich mehrere Probleme. Eines davon ist, dass der Schall über seinen Kopf weggeht. Bei der offiziellen Eröffnung hatte der Göttinger Knabenchor gesungen – ab Reihe 10 war er im Parkett kaum noch zu hören. Die viel gepriesenen Akustiksegel an der Saaldecke blieben oben, wie auch beim Eröffnungskonzert des Göttinger Symphonieorchesters einen Tag später. Offenbar ergeben andere Einstellungen dieser modernen Supertechnik keine Verbesserung. Das Phänomen wiederholte sich bei der KUNST-Gala, als die Improvisationskünstler von den QuerQuasslern nicht zu verstehen waren. 

Die Akustiksegel über der Bühne wurden beim Konzert des GSO mit den drei Göttinger Chören gar nicht erst angebracht. Offenbar ist das Aufhängen dieser Elemente so aufwändig, dass dies zwischen den Akrobatiknummern auf der Bühne am Freitag und Sonntag nicht möglich war.

Pianopassagen im Forte

Unter den Emporen im Parkett hat die Akustik ebenfalls ihre Probleme: die Kanten der Emporen zur Wand sind rechtwinklig. Bei den weniger modernen Hallen Europas sind sie abgeschrägt, so dass der Klang dort nicht in den Ecken und Winkeln verschwindet.

Die Grundform der Halle hat sich natürlich nicht verändert. Für die Akustik ist die Konstruktion einer hohen Bühne, dazu noch einer „Guckkasten-Bühne“ eher ungünstig. Im Endeffekt mag es Plätze in der neuen Halle geben, an denen der Klang gut ist. Im Großen und Ganzen ist er aber eben nicht gut. Dass beim Eröffnungskonzert die Akustik so gelobt worden ist, wird wohl eher an den erzeugten Dezibel auf der Bühne gelegen habe. Als Mitsänger der „Ode an die Freude“ weiß ich, wovon ich spreche. Die Pianostellen, die Beethoven durchaus vorgesehen hatte, wurden im Forte verlangt, weil die 220 Sänger:innen sonst nicht zu hören gewesen wären.

Beschäftigen wir uns mit der Sicht: auf den teuersten Plätzen im Parkett ganz vorne hat man nicht nur das Problem, dass der Schall über die Köpfe geht, sondern man hat auch ein Sichtproblem: bei einem Konzert des Göttinger Symphonieorchesters kann man lediglich die Frackschöße der ersten Pulte vorne am Bühnenrand sehen. Das Problem gab es vor der Sanierung auch schon - verbessert hat sich hier nichts.

Die Bühne lässt sich am allerbesten von der Empore Mitte überblicken. Das ist genau die Stelle, an der es die wenigsten Plätze gibt. Wer im Parkett sitzt, wird von der Bühnenhöhe daran gehindert, alles gut zu sehen. Bei der Aufführung der Beethoven-Sinfonie waren von den 220 Chorist:innen nur die ersten zwei Reihen zu sehen – wenn überhaupt.

Wer allerdings auf der Empore Mitte in der letzten Reihe sitzt, hat zwar einen guten Blick. Aber hört in erster Linie nur die Geräusche der Belüftungsanlage der Halle. Deren Maschinerie ist direkt hinter der Empore verbaut – und das unüberhörbar.

Noch einmal zur Sicht: weniger moderne Hallen in Europa haben entweder ein ansteigendes Parkett, zum Teil auch ausfahrbar, um ebene Flächen zum Beispiel für Tanzveranstaltungen zu ermöglichen. Oder sie haben eine absenkbare Bühne. Oder gar beides. In Göttingen wurde das eingespart – oder war durch die Entscheidung, den Rohbau stehen zu lassen, gar nicht möglich.

Dabei gibt es bundesweit sehr positive Beispiele: die neue Veranstaltungshalle, die in Schleswig geplant wird, oder die neue Halle in Weikersheim („Tauberphilharmonie“) sind zwei solcher neuen Bauten.

Es ist sehr schade, dass all dies bei den Planungen unberücksichtigt geblieben ist. Nun ist das Geld ausgegeben, mit dem Ergebnis werden wir Göttinger:innen die nächsten 20 Jahre leben müssen. Mindestens.

Schade.

Kulturbüro

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.

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