„Meine Arbeit fängt da an, wo andere sich vor Entsetzen übergeben müssen!“ Der Tatortreiniger ist zurück im Jungen Theater. In drei neuen Episoden macht Heiko „Schotty“ Schotte wieder allerlei skurrile Bekanntschaften während seiner Arbeit als „Cleaner.“ Jens Tramsen schlüpft erneut in die Rolle des abgestumpften Tatortreinigers Heiko. Ihm zur Seite stehen die Darstellerinnen Dorothea Röger und Thyra Uhde. »Der Tatortreiniger 2«, die Fortsetzung der Kultserie von Mizzi Meyer feierte seine Premiere im JT am 01.12.2023.
In der zweiten Ausgabe wird der Fokus noch mehr auf die weiblichen Charaktere gelegt. „Es hat sich relativ schnell herausgestellt, dass die Frauen jetzt Protagonistinnen werden würden. Dies liegt erstens an der Besetzung mit Dorothea Röger und Thyra Uhde,“ erklärt Regisseur Markus Fennert. „Zweitens finde ich den Umgang von Schotty mit den Frauen und den gesellschaftlichen Problemen erzählenswert. Hier kommt die Stärke raus, dass die Drehbücher von einer Frau geschrieben wurden, also von Ingrid Lausien alias Mizzi Meyer. Sie bringt diese Gleichzeitigkeit zwischen gesellschaftlicher Problematik und dem Mann-Frau-Thema gut auf den Punkt.“
Die Sexismus-Debatte wird besonders in den ersten beiden Folgen gut behandelt. Tatortreiniger Heiko ist ein einfach gestrickter Mann. Er ist zufrieden, wenn er auf dem Sofa mit einem Bier in der Hand abends Fußball schauen kann. In Dialogen wird deutlich, dass er an alten Klischees festhält – wie dem, dass die Frau zu Hause in der Küche stehen muss, während der Mann die Brötchen verdient, oder dass nur Männer und Frauen heiraten können. Überkommene Vorurteile sind bei Heiko an der Tagesordnung; durch seine Naivität und Unwissenheit wirkt er leicht patriarchalisch bzw. sexistisch. Trotzdem schafft es Jens Tramsen auf magische Weise, dass sein Schotty nie zu unsympathisch wird. Durch sein Schauspiel erscheint er stets als guter Kumpel oder Normalo-Nachbar, dem man trotz allem einfach nicht böse sein kann. „Man kann das schwer erklären, aber es gibt Rollen, die man nicht umbesetzen kann. Dieses Lakonische muss man intus haben,“ erzählt Markus Fennert. Die Rolle von Heiko „Schotty“ Schotte ist Jens Tramsen praktisch auf den Leib geschrieben.
Wie in der Originalserie steht nicht die Auflösung der Mordfälle im Vordergrund, sondern die absurden Situationen, die auftreten, wenn der Tatortreiniger während seiner Arbeit auf Hinterbliebene oder Bekannte der Mordopfer stößt. Bei »Der Tatortreiniger 2« werden drei Folgen vorgespielt, die als Einakter dienen. Somit handelt es sich um drei unabhängige, abgeschlossene Kurzgeschichten, einfach wunderbares Storytelling. Das Team im Jungen Theater hat sich bemüht, Folgen mit aktuellen Themenbezügen zu finden wie Flüchtlingsproblematik, Sexismus oder trashige Reality-TV-Shows. Regisseur Fennert schafft es, die Kernessenz der TV-Serie perfekt auf die Bühne zu transportieren. Die Morde dienen auch hier nur als Ausgangspunkt für die wundersamen Geschichten.nFennerst ist es wichtig, den Fokus auf die Schauspieler zu lenken. Das Bühnenbild ist so simpel wie möglich gestaltet, um nicht von der Brillanz der Texte Mizzi Meyers abzulenken. Trotzdem muss das Bühnen- und Technikteam hinter »Der Tatortreiniger 2« besonders gelobt werden. Minimalistisch, aber sehr effektvoll werden die Morde am Anfang durch aufblitzende, rote Lichter hinter Milchglaswänden angedeutet. Die überwältigenden Soundeffekte tun ihr übriges. Dazu sind die zitierten Wohnungskulissen optisch schön gestaltet, sodass sich der Zuschauer wie bei einer Sitcom-Vorführung fühlt. Trotz allem lenken Bühne und Technik nicht von dem ausgezeichneten und glaubwürdigen Schauspiel der Darsteller Jens Tramsen, Dorothea Röger oder Thyra Uhde ab. Im Gegenteil: Alle Aspekte harmonieren miteinander hervorragend und kreieren ein fantastisches Theatererlebnis. Während Tramsen in allen drei Episoden den Tatortreiniger verkörpert, spielen Röger und Uhde gleich mehrere Rollen in den unterschiedlichen Folgen und zeigen so ihre Wandelbarkeit.
In dem ersten Einakter „Ja, ich will“ geht es um eine Scheinehe, in die Heiko verwickelt wird. Es geht um die Frage: „Was würde ich selbst tun, wenn ein Flüchtling an meiner Haustür klingelt?“ Als Heiko Schotty die Überreste eines zerfleischten Bräutigams entsorgt, trifft er zufällig auf die Heiratsvermittlerin des Toten, wunderbar gespielt von Thyra Uhde. Die Heiratsvermittlerin bietet dem Tatortreiniger an, gegen Geld die Verlobte des Toten zu heiraten. Die Frau wird in ihrem Heimatland verfolgt, daher ist eine Ehe die letzte Rettung für sie. Heiko „Schotty“ Schotte steht nun vor einer großen Entscheidung.
Jens Tramsen schafft es gekonnt, Schottys Dilemma überzeugend und äußerst amüsant darzustellen. „Ich kenn die doch noch nicht mal,“ heißt es am Anfang. Als er dann aber ein Foto und den schönen Namen der Frau aus Angolia hört, macht er plötzlich ganz große Augen und mutiert zum Möchtegern-Womanizer. Es gibt allerdings einen Haken an der Scheinehe: Die Braut ist lesbisch. Schottys Antwort in Richtung Vermittlerin: „Ich kann dir nicht versprechen, dass sie lesbisch bleibt.“ Dieser trockene, schwarze Humor amüsierte das gesamte Publikum. Später wird Heiko Schotte schließlich skeptisch, da die Vermittlerin ebenfalls lesbisch ist und vielleicht ein Auge auf die Frau in Not geworfen hat. Geht es wirklich nur um politisches Engagement oder um eigene Interessen? Diese Wendungen verfolgt dank des hervorragenden Schauspiels gespannt. Wenn Dorothea Röger als Ehefrau der Heiratsvermittlerin auftaucht, ist das Fass kurz vor dem Überlaufen. Ehefrau Johanna hält überhaupt nichts von dem Durchschnittsmann Heiko. „Auf einmal geht es darum, dass eine Frau nicht doch besser wäre und dass alle Männer Arschlöcher sind,“ erwidert Heiko wütend, und damit ist der Geschlechterkampf eröffnet.
Um den geht es auch in der zweiten Folge, „Özgür“. Hier trifft Schotty auf die schwangere Silke, gespielt von Uhde. Eine alleinerziehende Mutter? Soll ich mich etwa schämen? Nein! Hier wird Gesellschaftsproblematik und Emanzipation gut thematisiert. Silke will ihren Sohn Özgür nennen, obwohl der Vater kein Türke ist. Hiermit kommt Heiko Schotty überhaupt nicht klar. Seiner Meinung nach würde das Kind mit diesem Namen nur Probleme bekommen. Und schon treibt Schotty seinen Schabernack und redet auf Silkes Bauch ein: „Özgür willst du ’nen Döner? Özgür, isst du wieder Fleisch?“ Über diese gemeinen Witze muss man als Zuschauer:in unwillkürlich lachen, zumal Jens Tramsen hier geradewegs auf der „Situationskomik“-Schiene fährt. „Jeremy kommt nicht aus England und Lennox kommt auch nicht aus Schottland,“ hat Silke dem entgegenzusetzen. Das Pingpong der Argumente lässt diese Folge besonders spannend geraten.
In der letzten Episode glänzt Dorothea Röger als Z-Promi Gina. Zwischen Jens Tramsen und Dorothea Röger stimmt die Chemie auf der Bühne vollkommen. Gina ist eine Exkandidatin der Realityshow „Deutschlands Superpatriot“; Röger spielt sie auf äußerst amüsante Weise. Diese Folge führt überspitzend vor Augen, wie in TV-Shows à la DSDS oder Dschungelcamp Menschen von Medien abhängig werden. Bei einem Interview von Gina wird Schotty unerwartet selbst Star der Show, und hier kommt es zum einleitenden Zitat.
»Der Tatortreiniger 2« ist ein Theaterstück, welches sich kein Krimi-Fan, kein Fan gelungener Dialoge entgehen lassen sollten. Das Team um Markus Fennert hat spannende Folgen adaptiert, die genau den Nerv unserer Zeit treffen.
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