Ein unkonventioneller Beginn. Die Türen im Theater werden geschlossen, aber das Licht bleibt an. Von der linken Seite hört man Lukas (Christoph Türkay) rufen. Er sucht nach einer Wohnung. So harmlos beginnt das Theaterstück «Das deutsche Haus» unter der Regie von Philipp Löhle, so harmlos soll es aber nicht weiter gehen.
Lukas ist Jura Student und liebenswürdig klischeehaft. Nervös lachend und etwas überfordert, aber sehr freundlich beschwert er sich über die Mietpreise in Göttingen. Dann trifft er Björn (Andrea Strube). Björn will Lukas zuerst wegschicken, behauptet, Leute wie er, würden die Kultur kaputt machen und erklärt ihm harsch: «Wir sind hier nicht bei Netflix». Es ist ein humorvoller Einstieg, der den Ton für das restliche Stück angibt.
Dann aber bietet Björn Lukas ein Zimmer an. Lukas ist begeistert von der Größe der Wohnung, der luxuriösen Verzierungen, die das Deutsche Theater nachahmen und dem billigen Preis. Die anderen Mitbewohner (Gabriel von Berlepsch, Judith Strößenreuter, Daniel Mühe) fallen auf durchs Bier trinken, jagen, deutsche Namen und strenge Hierarchien. Besonders bei dem angeblich männlichen Mitbewohner Alice (Judith Strößenreuter) fallen einige Parallelen zu der gleichnamigen Politikerin auf.
Der Wahlspruch des «Körpers», wie die anderen Mitbewohner «das deutsche Haus» nennen, lautet «Omnia pro nobis». Dazu haben sie ein Wappen und ein Stammbuch und singen Lieder über die «Heimat» und das «Vaterland». Ein deutsches Haus eben. Das, was für das Publikum offensichtlich ist, versteht Lukas anfangs nicht. Etwas irritiert antwortet er auf Fragen, wo seine Familie herkomme oder ob er eine Freundin habe. Er ist einfach nur erleichtert, eine Wohnung gefunden zu haben. Dabei behält er seine liebenswürdige Art vom Anfang, beim Publikum stellt sich nun aber langsam die Frage, ob es sich bei Lukas Offenheit eher um eine gefährliche Naivität handelt.
Bei dem morgendlichen Sportübungen des Körpers wird Lukas stutzig, dass sie alle so früh wach sind, nicht aber wegen der Bewegungen, die stark an den Hitlergruß erinnern oder die Dehnübung, die zufällig die Form eines Hakenkreuzes hat. Die dramatische Ironie, dass die Zuschauenden von Anfang an, genau wissen, worauf Lukas sich hier einlässt, sorgt für lustige Situationen, hinterlässt aber gleichzeitig eine Beklemmung bei den Zuschauenden.
Bemerkenswert ist, wie nahbar Lukas die meiste Zeit bleibt. Dem Theaterstück gelingt es, zu zeigen, wie leicht es ist, in Ideologien hineinzurutschen, wenn man nicht reflektiert und unkritisch bleibt. Lukas kämpft mit der Drehscheibe eines alten Telefons und bringt zum Lachen, während er nach und nach die Gewohnheiten seiner Mitbewohner übernimmt. Seine Freundin (Tara Helena Weiß) verstehe ihn nicht mehr, nur seine Mitbewohner wüssten noch, wie es in ihm drin aussehe. Anschaulich wird das an der Kleidung (Thomas Rump), die Lukas trägt, die sich immer mehr an seine Mitbewohner anpasst.
Aber auch die überspitzt dargestellten Mitbewohner lockern das sehr ernste Thema des Theaterstücks auf. Ständiges Gerede von Kampf, Traditionen, Heimat und Deutsch-sein wirken bewusst völlig abstrus und absurd auf das Publikum und entlarven es, als das, was es ist – nämlich sinnfreie Hassreden. Umso erschreckender ist es, dass Lukas mehr und mehr diese Einstellung übernimmt. Das Theaterstück passt damit gut in die Gegenwart und stellt einen erschreckenden Zeitgeist dar, in der Populismus und Radikalismus immer erfolgreicher zu werden drohen. Noch erschreckender ist der sehr realitätsnahe Satz «Die Demokratie gibt uns die Mittel, ihre eigene Abschaffung voranzutreiben», der im Theaterstück fällt.
Auch wenn das Publikum die meiste Zeit über zu wissen scheint, worauf alles hinausläuft, überrascht doch, was zu sehen ist, wenn die unheildrohende Doppeltür in der Mitte der Bühne sich schließlich für alle Augen öffnet. Besonders das fantastische Bühnenbild (Thomas Rump) erstaunt, vielleicht gerade, weil es auf den ersten Blick im Kontrast mit dem sonst traditionell gehaltenen Bühnenbild steht, das das Theater nachbilden soll. Es zeigt die Verbindung von der Neuen Rechten mit altem Gedankengut sehr deutlich.
Das Stück spitzt sich schließlich zu einem beeindruckenden Finale zu, das Gänsehaut hinterlässt und zu anhaltendem Applaus führt. «Das deutsche Haus» ist ein Stück, das aktueller gar nicht sein könnte. Makaber und humorvoll zeigt es die Gefahren des Rechtsradikalismus in der Gesellschaft auf und die besorgniserregende Leichtigkeit, mit der naive und vermeintlich offene Menschen in dieses Milieu hineinrutschen können. Dies gelingt, ohne dabei zu sehr zu moralisieren. Es ist ein Stück, dass durch seine Aktualität heraussticht und mit talentierten Schauspielenden, einem großartigen Bühnenbild und überraschenden Wendungen überzeugt. Es lohnt sich, zu besuchen und entlässt das Publikum schließlich mit der Frage, wie überspitzt all dies denn nun wirklich war. Wer noch mehr über das Stück und die Produktion erfahren will, kann sich das aufschlussreiche Gespräch mit dem Autor und Regisseur des Stücks Philipp Löhle anhören.
Kommentare