Sakrale Kontraste: Vom Dunkel ins Licht

»Zweimal Requiem« mit der Göttinger Stadtkantorei und dem Göttinger Symphonieorchester

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Schatten und Licht. Der dunkle Anfang weicht einem hellen Ende. Zwei für sich stehende Werke vereint zu einer komplexen Dramaturgie. Nicht weniger als das bot das Chorkonzert »Zweimal Requiem« am 17.11. in der St. Johanniskirche in Göttingen. Dabei stand das Musikstück als Ausdruck menschlicher Trauer wie Hoffnung im Fokus der Vorstellung. Unter der Leitung von Bernd Eberhardt nahmen die Göttinger Stadtkantorei und das Göttinger Symphonieorchester ihr Publikum mit auf eine fast zweistündige, diachrone Erfahrung der Tonkunst des 19. Jahrhunderts. Dafür wurde keine tatsächliche Totenmesse ausgerichtet, wie es die Liturgie vorsieht, sondern viel mehr die Implikationen der besonderen Komposition waren vordergründig.

Die Leistung war hier nämlich nicht nur eine rein handwerklich-musikalische. Vor allem brillierte der Auftritt durch sein einzigartiges Programm. Kombiniert wurden zwei  oberflächlich kontrastive Requiem-Vertonungen: Zum einen die »Missa pro defunctis« von Luigi Cherubini, zum anderen die »Messe de Requiem op.« von Gabriel Fauré. Während Cherubinis Requiem in c-Moll (komponiert 1816) vor allem auf eine düstere Atmosphäre und sakrale Strenge bedacht ist, zeichnet sich Faurés Werk (1887 bis 1890 komponiert) durch subtile Harmonien sowie eine sanfte, fast schon optimistische Zartheit aus. Das eine Werk ist tragisch, das andere tröstlich. Dennoch verhalten sich diese komplementär zueinander.

Jene Komplementarität ist allerdings nicht offensichtlich und wurde erst durch die kunstschaffende Exzellenz von Chor und Orchester hervorgebracht. Vor allem durch die stimmliche Arbeit in der Dynamik konnte die Göttinger Stadtkantorei sowohl die intensiven als auch die ruhigen Passagen präzise präsentieren, und schaffte dadurch einen fast nahtlosen Übergang von anfangs schauriger Dramatik zu einem sphärischen Frieden. Auch die Passus aufbauender Sonorität mit darauffolgender Zäsur hin zur absoluten Stille erwiesen sich als besonders eindringlich – fast schon heimsuchend.

Nähe und Distanz

Das Göttinger Symphonieorchester zeigte sich in diesem Kontext als unverzichtbare Ergänzung, um jene prozesshafte Atmosphäre akustisch aufzubauen. Die Diversität des Tempos welches sich vor allem accelerando entwickelte, lies einen Höhepunkt den nächsten jagen. Trotzdem fanden sich immer wieder ruhige, entschleunigte Strukturen und schwebende Akkorde, die die ehrfurchterweckende Monumentalität mit andersweltlicher Meditativität ablösten.

Während Cherubinis Werk zugunsten einer Chorzentrierung vollkommen auf Solist:innen verzichtet, wird Faurés musikalische Interpretation eines friedvollen Todes durch das Solo eines Mezzosopran und eines Bariton getragen. Dies wurde hier besonders durch das Spiel mit der Räumlichkeit hervorgehoben, indem die Solist:innen Barbara Schäfer (Mezzosopran) und Tobias Broda (Bariton) aus dem Kontingent des Chores herausgelöst im Vordergrund platziert waren – ein ebenfalls präzise platzierter Ruhepol. Die Kontrastierung von Nähe und Distanz, Kollektiv und Individuum, welche nicht zuletzt durch abwechselndes Singen hervorgerufen wurde, hob dabei einmal mehr die sukzessive Entwicklung heraus, die durch die Kombination beider Werke entsteht. 

Die intelligente Entscheidung, zwei distinkte, in sich geschlossene Werke zu Teilen eines Ganzen verschmelzen zu lassen, zeigte dabei nicht nur die fähige Vielseitigkeit von Chor, Orchester und Solist:innen auf. Vor allem ebnet sie den Weg für völlig ungeahnte Interpretationen. Der Übergang vom Requiem in c-Moll, welches vor allem Schwere und Tragik transportiert, zum so rezipierten „Requiem des Lichts“ schuf ein atmosphärisches Spannungsfeld, welches final durch helle D-Dur Akkorde aufgelöst wurde und das gefesselte Publikum mit einem Gefühl von Hoffnung und Entlastung in den Abend entließ.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Antonia Fiege

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

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