„I’m holding out for a Hero!“ Bonnie Tyler lässt grüßen, denn diese Version von »Tartuffe« zeigt, dass man vorsichtig dabei sein muss, welche Person man sich als Vorbild nimmt oder gar als Heldenfigur. Dieser Aspekt wird in dem Stück sehr lustig dargestellt von Christoph Türkay, der den total verträumten und naiven Familienvater Orgon verkörpert. Zudem zeigt Beichls Komödie, wie viel Macht eine einzige Person haben kann, um eine gesamte Gruppe zu zerstören. Nachdem er sich Orgons Vertrauen erschlichen hat, wird Tartuffe (richtig polarisierend: Gabriel von Berlepsch) der toxische Stachel in Orgons Familie. Der Hochstapler lebt nun dauerhaft im Familienanwesen und soll auf Wunsch Orgons sogar der neue Heiratskandidat für Tochter Mariane (Marina Lara Poltmann) werden. Tartuffe bringt den Familienzusammenhalt vollkommen ins Wanken und belastet jedes einzelne Familienmitglied!
Die musikalischen Songeinlagen unter der Leitung von Fabian Kuss mit den Liedtexten von Beichl sind gewiss die großen Highlights des Stücks. Laut, imposant und eindrucksvoll startet das Stück als die Familienmitglieder auf der Terrasse stehen und aus vollem Halse „TARR-TUFFEE!“ singen. Die Darsteller stehen dabei auf den Terrassen und Veranden einer zweistöckigen, mit Neonlichtern verzierten Villafassade. Währenddessen spielt Andreas Jeßing das Keyboard. Er verkörpert die ulkige Großmutter Madame Pernelle und erinnert mit seinem Outfit sogar an Robin Williams als stacheliges Kindermädchen Mrs. Doubtfire.
Pompöse Kulisse, lustige Verfolgungsjagden
Bühnenbildnerin Valentina Pino Reyes hat hier ganze Arbeit geleistet und eine pompöse Kulisse geschaffen, die für viel Drama und vor allem Humor sorgt. Neonschilder mit der Aufschrift „Schein und Sein“ flackern auf, spiegeln Tartuffes Scharade wider, während aufblinkende Bananen Anspielungen auf Orgons und Tartuffes komödiantische homoerotische Beziehung ist. Auch lustige Verfolgungsjagden von einem Stockwerk ins nächste, die direkt aus einer Zeichentrickserie stammen könnten, ermöglicht die Bühne. Im späteren Verlauf gibt es zum Beispiel eine wilde Verfolgungssequenz zwischen dem Hitzkopf-Sohn Damis (Daniel Mühe) und Tartuffe, die immer wieder hinter Türen verschwinden, um plötzlich auf der oberen Terrasse oder auf der gegenüberliegenden Häuserseite zu erscheinen.
Außerdem wirkt das Stück sehr immersiv, da das Publikum gut in das Geschehen mit einbezogen wird: Die Darsteller treten aus Türen, die direkt neben den Zuschauerrängen sind und oftmals reagieren und sprechen die Darsteller mit dem Publikum. Gabriel von Berlepsch macht einen auf Möchtegern-Jesus und fragt beispielsweise willkürlich einzelne Zuschauerinnen und Zuschauer nach dem Namen und antwortet mit frommer Stimme, „Barbara, Dieter, schön dass es dich gibt.“
Die Vorstellung der einzelnen Familienmitglieder war ziemlich gelungen, sodass auch Neueinsteiger in den Stoff von Molière schnell Fuß fassen können. Die Turteltauben Mariane (Marina Lara Poltmann) und Valère (Anna Paula Muth) sorgen zusammen mit der gleichgültigen Zofe Dorine (Gaby Dey) für eine ordentliche Portion Slapstick-Humor und Situationskomik. Da die Heirat zwischen den beiden durch Tartuffe in Gefahr ist, sind Mariane und Valère am Boden zerstört. Sie trauern und weinen auf übertrieben-lustige Weise, sodass auch die Zuschauer vor Lachen Heulen müssen.
Gemeine Slapstick-Einlagen
Das Traumpaar des Stücks ist aber gewiss Orgon (Christoph Türkay) und Tartuffe (Gabriel von Berlepsch)! Türkay schafft es mit seiner schrägen, überdrehten Art Orgons Schwärmen für Tartuffe richtig humorvoll darzustellen. Das Publikum merkt richtig, wie besessen und verblendet er vom Schwindler ist. Aus voller Brust schreit er „niemand kann sich Tartuffe entziehen“ während man richtig sieht, wie der Speichel aus seinem Mund schießt! Gabriel von Berlepsch ist daneben beinahe wie geschaffen für die Rolle des religiösen Heuchlers Tartuffe! Mit seiner langen goldenen Mähne und seinem weißstrahlenden Anzug tritt er erstmals in Erscheinung zu dem Kirchenlied Halleluja, eine eindeutig ironische Introduktion. Einerseits gibt er sich als gottesfürchtiger Moralapostel aus. Andererseits schmeißt er sich schamlos an Orgons Ehefrau ran und räkelt sich vulgär an einer Säule. Die Situation eskaliert, als Sohn Damis (Daniel Mühe) davon Wind bekommt und dies seinem Vater Orgon berichten will. Bei dem Versuch, seinem Vater endlich die Augen zu öffnen, gibt es nochmal viele gemeine Slapstick-Einlagen, bei welchen man als Zuschauer:in einfach hämisch lachen muss! Damis rennt ständig gegen Türen und Fenster, die von Tartuffe aufgeschlagen werden. Dazu sieht die Szene sehr echt und schmerzhaft aus, gleichzeitig wirkt sie verdammt lustig! Als er schließlich seinen Vater darüber aufklären kann, dass Tartuffe kein ein frommer Mann ist und mit seiner Frau flirtet, bleibt Orgon nach wie vor verblendet. Eine richtig bizarre und lustige Szene folgt, bei der das Publikum vor Absurdität einfach nicht anders kann als laut loszulachen. Tartuffe geht auf seine Knie und gesteht dass er ein Sünder sei. Davon ist Orgon richtig berührt und sagt seinem Sohn wie verhext „siehst du nicht, wie aufrichtig er ist!“
Türkay und von Berlepsch treiben ihre absurde Beziehung aber noch weiter auf die Spitze! Bei schummrigem, rosarotem Licht gestehen sich die beiden Männer ihre Hingabe zueinander in ihrem Duett „Zwei Männer hier am Strand“. Diese Szene ist aber nicht nur so skurril wegen des klangvollen Refrains, der die toxische, homoerotische Beziehung beschreibt. Orgon steht nämlich nur in Unterhose auf der Bühne, was das Bild natürlich noch irrwitziger und grotesker werden lässt! Für ihr bizarres und dennoch klangschönes Duett bekamen die Darsteller viel Beifall vom Publikum.
Ob Orgon noch die Augen öffnet und einsehen wird, dass er in einer Fantasiewelt lebt, können Sie ab sofort selbst im DT herausfinden! »Tartuffe« ist eine sehr empfehlenswerte Komödie, die keinen Halt vor irrwitzigen Slapstick-Einlagen und bizarren Szenen macht! Ganz im Sinne Molières, aber im modernen Gewand. Wie zuvor auch in vorherigen DT-Produktionen sind die Rollen gut vergeben, jeder einzelne Darsteller geht richtig in seiner Rolle auf! Vor allem die Musical-Einlagen, die extra für diese Theaterfassung entwickelt wurden, sorgen für frischen Wind bei Molières alter Dichtsprache und können überzeugen! Zwar gibt es nach der Pause ein paar Längen, dafür macht aber der sehr komische Schlussakt mit dem Endsong „It’s time to say goodbye“ wieder alles wett!
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