„Warum müssen die Menschen vom Land immer in die Stadt, um Kultur zu genießen?“ Diese Frage kommt immer wieder von Leuten, die nicht in einem Oberzentrum wohnen. Die Initiative „Kultur im Kreis“ im Landkreis Göttingen setzt sich für sie ein und bringt Kulturveranstaltungen auf die Dörfer. In Landolfshausen, Hedemünden und Spanbeck sei das ganze Dorf auf den Beinen, wenn ein Konzert von „Kultur im Kreis“ angesagt sei, erzählt Gregor Jess als Organisator dieser Reihe.
2006 habe alles damit begonnen, dass Konzertagentin Heide Stock durch den Landkreis gefahren sei, um zu erkunden, wie viele Veranstaltungsorte es dort gebe, weiß Jess, der von der ersten Runde an dabei ist. 150 bis 170 geeignete Kirchen, Scheunen, alte Burgen und mehr habe Stock auf ihren Touren gefunden. Der damalige Landrat Reinhard Schermann habe dafür plädiert, diese Orte auch aktiv zu nutzen. „Kultur im Kreis“ wurde geboren.
Gleich im ersten Jahr sei die Reihe mit sechs Veranstaltungen so gut angenommen worden, dass schnell klar gewesen sei: „Wir machen weiter.“ Jedes Jahr finde sich seither ein neues Team von verschiedenen Initiativen, die für Kultur in ihrem nahen Umfeld sorgen wollen. Als Schnittstelle wirkt der Landkreis, von Anbeginn bis 2022 in Person von Sissi Karnehm-Wolf, dann ist Philipp Kallenbach als ihr Nachfolger angetreten. Der amtierende Landrat, zurzeit Marcel Riethig, steht dem Projekt als Schirmherr zur Seite.
Etwa 55.000 Euro im Jahr braucht „Kultur im Kreis“ laut Jess für das Programm, in diesem Jahr mit acht Veranstaltungen, dabei Jazz, Swing und Boogie in Bad Lauterberg, Minnegesang auf Schloss Adelebsen, Irish Folk im Brotmuseum Ebergötzen und A Capella in Barterode. 30 Prozent der Kosten seien durch die Einnahmen gedeckt. Für den verbleibenden Betrag müssen Sponsoren gefunden werden. Überschüsse oder Defizite würden in das nächste Jahr mitgenommen. So muss die Bilanz nicht auf den Punkt aufgehen.
Vom ersten Tag an hat sich Jess, als freischaffender Künstler Ideengeber, um die Zusammenstellung des Programms gekümmert. Oft kämen die Vereine mit Vorschlägen, wen sie in ihrem Dorf gern hören möchten. Auch die Künstler blieben nicht stumm: „Ich bekomme jeden Tag Bewerbungen“, sagt der rührige Organisator und erzählt noch von den Fans: Manche würden jede Veranstaltung besuchen. Generell aber könne man sagen, dass die unterschiedlich ausgerichteten Konzerte auch verschiedene Zuhörer ansprächen.
Das Programm stehe immer schon am Ende eines Jahres. Dann gelte es, Anträge zu stellen, Sponsoren zu werben. Nach Corona liefen Open-Air-Angebote oft besser als Konzerte in Räumen. Doch so schlimm wie 2020 ist es zum Glück schon länger nicht mehr. Damals hätten die Konzerte ausfallen müssen, erst im Folgejahr konnten sie nachgeholt worden. Für die Veranstalter eine schwere Zeit. Doch Jess lobt: Die Mitwirkenden seien immer professioneller geworden. Inzwischen wüssten nahezu alle, dass eine Gebühr nicht nur an die GEMA, sondern auch an die Künstlersozialkasse entrichtet werden müsse. Zur Routine gehöre, Eintrittskarten zu drucken. Gute Absprachen seien immer wichtig.
„Kultur im Kreis“ wird in diesem Jahr am Freitag, 25.8. mit „Rocktail“ auf dem Spanbecker Sportplatz eröffnet. Über ihren Neffen, Mitglied der Band, habe sie von der Formation erfahren, erzählt Margitta Kolle von „Gemeinsam für Spanbeck“. Jess hörte rein und war einverstanden. Damit startete die Arbeit für den Verein. Als Veranstalter musste er den Vertrag mit der Gruppe für Soul, Funk und Blues klarmachen. Dann galt es, Bühne und Tontechnik zu organisieren, zu klären, wer Würstchen brät, Essen zubereitet. Etwa 20 bis 30 HelferInnen seien nötig, um das Konzert gut über die Bühne zu bringen, spricht Margitta Kolle aus Erfahrung.
Durch Sissi Karnehm-Wolf hat Kolle zum ersten Mal von „Kultur in Kreis“ gehört. Beim „Winterwald“ an den Advents-Samstagen habe sie erlebt: Live-Musik kommt gut an. Auf „Tone Fish“ aus Hameln mit Rat City Folk ist die Wahl 2021 gefallen, wegen Corona spielten sie auf dem Kirchenvorplatz.
Das Konzert von „Rocktail“ auf dem Sportplatz versteht Kolle als Auftakt zum „Bunten Rasen“ mit vielen Aktionen am Wochenende, 26. und 27.8. Solch ein „rundes Programm“ möchte sie gern ähnlich im kommenden Jahr auf die Beine stellen, auch wenn Spanbeck dann vielleicht nicht bei „Kultur im Kreis“ dabei ist. Denn alle Initiativen, die mitmachen wollen, sollen auch berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass nicht jeder jedes Jahr dabei ist.
Neustarter in doppelter Hinsicht ist die OXlocation in Hann. Münden. Erst im Frühsommer hat sie ihre Pforten eröffnet, im Rahmen von „Kultur in Kreis“ präsentiert sie das „Duo Jerusalem“ mit – ungewöhnlich – Harfe und Saxophon. Landrat Riethig habe die neue Bühne bei Gregor Jess ins Spiel gebracht, weiß Christian Möller von der OXlocation. Jess habe das Duo vorgeschlagen. Mit dem Konzert beschließe die Location ihren ersten Sommerzyklus, berichtet Möller und hofft darauf, dass „Kultur im Kreis“ ihren Bekanntheitsgrad steigert.
Was in Spanbeck beginnt, geht in Duderstadt am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, zu Ende, im Ballhaus „Zum fidelen Anreischken“ mit insgesamt rund 700 Plätzen. „Wir sind von der ersten Stunde an dabei“, sagt Sabine Holste-Hoffmann, Geschäftsführerin der „Theater- und Konzertvereinigung Duderstadt“. Immer habe der Verein mit außergewöhnlichen Veranstaltungsorten gepunktet: mit der Remise in Duderstadt oder dem Forsthaus Hübental. Im „Graf Isang“ konnte der Verein das Programm mit einer Salsa-Nacht bereichern. Der diesjährige Abend „Ost und West – eine Nation – in Sprache und Ton“ habe eine besondere Geschichte:
Im September 2022 habe die Theater- und Konzertvereinigung zum ersten Mal einen Poetry-Slam-Abend ausgerichtet. Der Gewinner, Friedrich Herrmann aus Jena, war im selben Jahr in Erfurt bei einer Festveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit dabei. Holste-Hoffmann fuhr hin und war von dem Programm mit Poetry-Slammern und Musikern begeistert. Zum 33. Jahrestag der Deutschen Einheit wollte sie in Duderstadt ein ähnliches Programm auf die Beine stellen. Als Jess anrief, erzählte sie von der Idee. Daraufhin habe er vorgeschlagen, den Abschlussabend daraus zu machen.
Friedrich Herrmann kannte Poetry Slammer. Mit Luise Wonneberger aus Jena, die beim Bundesfinale des „Local Heroes“-Bandwettbewerb 2022 dabei war, kommt laut Holste-Hoffmann die passende Musik. Gewachsen sei ein Programm mit lokal, regional und international bekannten KünstlerInnen. Zeitzeugen, die den Mauerfall im Eichsfeld hautnah miterlebten, werden von ihren Erlebnissen berichten. Für die passende Stimmung sollen darüber hinaus Fotos von der Grenzöffnung sorgen. Im Flyer zu „Kultur im Kreis“ wird für die Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit Verbindendes hervorgehoben: „Auch wenn nach 33 Jahren noch nicht alles zusammengewachsen ist, was zusammengehört“ – die gemeinsame Sprache und Musik habe die Deutschen stets verbunden.
Das gesamte Programm von „Kultur im Kreis“ ist bei kulturis und im Internet unter kulturimkreis.de zu finden. Über den kulturis-Ticketshop sowie an allen Vorverkaufsstellen, die an Reservix angeschlossen sind, können die Tickets geordert werden.
Vielfälltige Spielstätten – Kultur im Kreis veranstaltet Konzerte auch an ungewöhnlichen Orten
Neben den bereits gezeigten Veranstaltungsorten in Spanbeck und dem Ballhaus „Zum fidelen Anreischken“ in Duderstadt finden weitere Veranstaltungen an folgenden Orten statt, die wir in unserer Galerie präsentieren:
Europäisches Brotmuseum Ebergötzen, Studio Klawunn in Göttingen, Gasthaus Plumbohm in Adelebsen Barterode, Kurhaus Bad Lauterberg im Harz, Burg Adelebsen, OXlocation in Hann. Münden.
Fokus
Im Artikel genannt
Im Artikel genannt
Gregor Jess
Sänger, Komponist, Gesangslehrer
Sportplatz Spanbeck
Europäisches Brotmuseum Ebergötzen
Studio Klawunn
Foto • Film • Kunst • Bühne
Gasthaus Plumbohm
Kurhaus Bad Lauterberg
Burg Adelebsen
OXlocation
Live. Digital. Hybrid.
Ballhaus „Zum fidelen Anreischken“
Eichsfeldhalle Duderstadt
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