Sehr lebhaft und frei erzählt Meike Rötzer die Geschichte des jungen Hans Castorp, der eigentlich nur seinen Vetter auf der Kur im Schweizer Sanatorium besuchen möchte. Als sich Hans‘ Zustand verschlechtert werden aus den anfänglichen drei Wochen schließlich sieben Jahre! In dem morbiden und grotesken Ort trifft Hans auf viele kuriose Gestalten, exzentrische Vertreter verschiedener philosophischer Richtungen, verliebt sich Hals über Kopf und wird letztendlich nur durch den Einzug in den Krieg entlassen.
„Es war eine tolle Herausforderung,“ erzählt Rötzer dem Kulturbüro. „Denn der Schwerpunkt ist nicht eindeutig gesetzt. Deshalb habe ich als Erzähler die Freiheit, worauf ich den Fokus legen möchte. In diesen turbulenten und angsteinflößenden politischen Zeiten ist es echt erschreckend zu sehen, dass die philosophischen Debatten in dem Roman nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Humanistische Vorstellung, der Gottesstaat, europäische Werte und radikale Ansichten. Deshalb wollte ich die Wortgefechte zwischen den zwei Philosophen besonders hervorheben.“
Es ist ein besonderes Erlebnis zu sehen und vor allem zu hören, wie sich die Schauspielerin in die verschiedenen Rollen versetzt. Mit viel Gestik und Elan verändert sie ihre Stimme, um den ordnungsliebenden Hans von dem eloquenten italienischen Insassen und Philosophen Settembrini abzuheben. Besonders dramatisch wird es, als der Jesuit Leo Nephta in das Sanatorium eingewiesen wird. Neptha ist politisch radikaler als Settembrini und steht dessen humanistisch-demokratischen Idealen entgegen. Hans, und auch das Publikum, werden von den philosophisch-ideologischen Streitgesprächen hin- und hergerissen. Denn Rötzer weiß, wie sie ihre Stimme artikulieren muss, um für ordentlich Drama zu sorgen. Der ideologische Streit eskaliert folglich in einem tödlichen Pistolenduell.
Wunderbare Hingabe und Kreativität
Meike Rötzer schafft es, ein aufregendes Kopfkino bei den Zuschauer:innen auszulösen. Dies liegt einerseits daran, dass sie Thomas Manns Roman sehr frei erzählt, wirklich wie eine Geschichtenerzählerin! Nicht umsonst hat sie schon unzählige Hörspiele und Hörbücher vertont. Andererseits liegt es an der lebhaften Sprache und der spannungsgeladenen Ausdrucksweise und Wortwahl Rötzers.
„Die Lokomotive schnauft und keucht“ als Hans beim Sanatorium ankommt. Und „da erblickt er sie, das erste Mal. Sie schleicht geschmeidig wie eine Katze über den Boden.“ Hans Schwarm, die hinreißende Insassin Madame Chauchat.
Durch diese lebendige Sprache und Vortragsweise kann das Publikum vollkommen in das Geschehen eintauchen! „Thomas Manns Formulierungen sind sehr einzigartig. Deshalb bin ich bei meinem Manuskript oft eng an Manns Sprache geblieben,“ erklärt die Schauspielerin. Manns Sprache sucht natürlich seinesgleichen, dennoch wäre die 100-Minuten Fassung nur halb so gut ohne Rötzers wunderbaren Hingabe und Kreativität. Gekonnt interpretiert und verdichtet sie den Wälzer und lässt durch ihr aufregendes Schauspiel keine Langeweile aufkommen. Natürlich sind hier und da ein paar Längen, was natürlich auch den 1000-Seiten verschuldet ist. Dennoch kommen immer wieder spannungsreiche Szenen, bei denen Rötzer das Publikum vollkommen in ihren Bann ziehen kann.
Kopfkino vom Feinsten! Meike Rötzer haucht dem hundertjährigen »Zauberberg« neues Leben ein. Mit ihrer packenden Mischung aus Lesung und Hörspiel bringt sie die dramatische Handlung und die feurigen Wortgefechte voll zur Geltung.
Fokus
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Im Artikel genannt
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