Großes Buch - großes Gespräch 

Clemens Meyer und Daniel Frisch über Kino, Krieg, Gewalt, Erinnerung und Gegenwart

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Die Projektoren – ein Monolith von Buch, so beschreibt es zumindest Clemens Meyer indem er sich selber zitiert: „Der Roman, wie ihn die Moderne versteht, ist ein Monolith, ein Chaos aus Stimmen…“ und stellt uns mit seinem neuen Roman allein schon durch die äußere Gestalt mit 1042 Seiten einen Ziegelstein ins Bücherregal. Auch die Themen, die er behandelt, sind schwergewichtig: beginnend mit dem zweiten Weltkrieg und später dem Jugoslawienkrieg ziehen sich Gewalterfahrungen und Gewaltausübung über Generationen hinweg durch das Buch. Zeit- und Ortssprünge und wechselnde Perspektiven auf die Personen, die immer wieder an unterschiedlichen Orten auftauchen, sorgen für das Chaos aus Stimmen. Wenn man sich aber auf den Erzählfluss – und Flüsse ziehen sich geradezu leitmotivisch durch den Text – einlässt und sich treiben lässt, gerät man in den Sog dieses Buches.

Daniel Frisch, Lektor im Steidl Verlag, gelang es, im Gespräch mit Clemens Meyer die düstere Grundstimmung und Thematik des Werks durch ein durchaus heiteres und überraschend humorvolles Gespräch zu ergänzen. Dazu trug die beiden gemeinsame Herkunft und der leicht sächsisch gefärbte Zungenschlag bei, wie in der Aufwärmrunde locker festgestellt wurde. Neben dem Hauptprotagonisten, dem Mann, der als Erwachsener Cowboy genannt wird und schon als Kind Meldegänger für die Partisanen war, sind dessen Vater, aber auch Dr. May und die Schauspieler, die in der Verfilmung der Karl-May-Romane spielen, Negosava, ihr Ehemann und eine Vielzahl weiterer Menschen im Vorder- und Hintergrund das Personaltableau dieses Buches. Meyer lässt immer wieder detailliert Bilder und Szenen erstehen, und nähert sich so einem weiteren Leitmotiv – dem Kino, das letztlich auch für den Titel des Buches steht. Kinosäle sind Schutzräume und Traumräume, aber auch die Dreharbeiten im kroatischen Velebit-Gebirge spielen eine Rolle und die virtuellen Gefechte für den Film wandeln sich wenige Jahre später zu realen Kriegshandlungen.

Frisch und Meyer nähern sich im Gespräch immer wieder einzelnen Themen des Buchs und kommen bis ins manchmal überraschende Detail: wenn man den Schutzumschlag entfernt, ist ein Schütze zu sehen; er hält aber kein Gewehr, sondern eine chronofotografische Flinte – was es damit auf sich hat, kann man später selbst nachlesen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Maria Widemann

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

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