Es gibt Termine, da freut man sich schon die ganze Woche darauf. Einer dieser besonderen beruflichen „Dates“ war sicher das Interview mit Gina Guenter alias Kaunoka im Oktober. Bereits als ich ihre Adresse las, musste ich schmunzeln. Denn die Mystik-Begeisterte wohnt unterhalb der alten Osteroder Burgruine - wie passend. Als ich zu Jahresbeginn den Hinweis bekam, dass in meiner alten Heimatstadt ein wahres Multitalent in Sachen Kunst wohnt, wurde sofort meine Neugierde geweckt. Schließlich war mir bis dato Gina Guenter oder Kaunoka gänzlich unbekannt. Ein Umstand, der geändert werden musste. Handgemachte vegane Kleidung, Musik, künstlerisch gestaltete Bilder von allerlei magischen Wesen sowie einzigartige Dekorationen mit ebenso außergewöhnlichen Sammelstücken aus dem Harz - das sind einige von Ginas Leidenschaften. Sagen, Mythen und Legenden, Kräuterkunde und anderes mehr gehören ebenfalls dazu.
Bei der Begrüßung wurde ich sofort an eine Elfe erinnert, nur größer. Kein Naturgeist, sondern eine freundlich lächelnde junge Frau stand mir gegenüber und empfing mich mit Kaffee und einem extra gebackenen Kürbiskuchen. Und es ging gut und verheißungsvoll weiter: Im gemütlichen Wohnzimmer hing neben einem selbstgebautem Leuchter aus Naturmaterialien eine Art großer Setzkasten mit allerlei kleinen Behältnissen, die Tinkturen, Kräuter und weiteres mehr enthielten. Unweit davon lag zudem ein Buch über Hausgeister und andere fast vergessene Gestalten der deutschsprachigen Märchen- und Sagenwelt. Meine Neugierde stieg, ich war gespannt.
Was folgte war ein sehr persönlich gehaltenes und offenes Interview, indem mir die Künstlerin einen kleinen Einblick in ihr Leben gewährte und mich für einen kurzen Moment daran teilhaben ließ.
Der Name „Kaunoka“ - Kommt er aus dem Finnischen und heißt „schön"?
Genau, aus dem Finnischen. Ich wollte das Projekt gern nach meinem Seelenblümchen - dem Gänseblümchen - benennen. Ich war dann auf der Suche nach einem klanghaften Namen und bin auf dem finnischen, melodischen „Kaunokainen“ hängen geblieben. Hab’s dann noch gekürzt. Aber richtig, das Gänseblümchen heißt bei uns ja unter anderem auch „Tausendschön“, und das ist da wohl die wörtlichere Übersetzung.
Du bist extra der Mystik wegen nach Osterode gezogen. Wo hast du denn früher gelebt und was fasziniert dich hier besonders am Rande des Harzes?
Ja, das stimmt. Aufgewachsen und gewohnt habe ich davor in verschiedenen Dörfern bei Hildesheim. So oft es mir möglich war, bin ich zum Wandern und Waldbaden in den Harz gefahren, meist Richtung Goslar und Bad Grund. Das war immer ein Gefühl von Wohlsein und nach Hause kommen. Die Felsenklippen, Höhlen, Flora und Fauna - es gibt einfach so viel zu entdecken und zu erkunden. Davon bekomm’ ich nicht genug. Und ich liebe die vielfältigen Sagen und Legenden, die man zu all den verschiedenen Orten und Plätzen finden kann. Irgendwann hab’ ich auch erfahren, dass meine Ururgroßmutter in Ellrich gelebt hat. Von ihr habe ich auch noch eine Kiepe geerbt. Die erste Nacht hier verlief nicht so gut. Dann sah ich aber im Garten Glühwürmchen fliegen und alles war okay.
Deine hauptsächlichen Tätigkeitsbereiche umfassen Kleidung, Musik und künstlerische Gestaltungen wie beispielsweise das Anfertigen von Postkarten. Wie kam es dazu?
Mein beruflicher Lebenslauf ist nicht wirklich geradlinig und wurde auch immer wieder durchbrochen durch depressionsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Nach dem abgebrochenen Abitur habe ich mich 2010 zu einer Ausbildung zur Damenschneiderin entschlossen. Freude am Modedesign und die Faszination für’s Handwerk waren die Gründe. Nach ziemlich unglücklichen Umständen habe ich diese nach zwei wunderbaren Lehrjahren abbrechen müssen. Dann formte sich meine ehemalige Band Waldkauz, mit der ich circa fünf Jahre lang auf kleinen und großen Bühnen der Mittelalter- und Fantasyszene unterwegs sein und wachsen konnte. Das war anfangs keine geplante Entscheidung, sondern immerzu das Ergebnis aus dem Spaß am gemeinsamen Musizieren, Neugier und Ausprobieren.
Aber die Entwicklung und Dynamik innerhalb der Gruppe brachte mich dann dazu, auch diese Phase der psychischen Gesundheit wegen zu beenden. Daraufhin zog ich mit meinem Freund erst nach Gittelde, später dann nach Osterode. Ich lernte das wundervolle Theater der Nacht in Northeim kennen und arbeite dort seit 2019 als glücklicher Hausgeist. Zum Herbst 2019 begann ich dann auch offiziell mit meinem Projekt „Kaunoka“. Anfangs wollte ich dieses eigentlich nur der Kleidung und Kunstgegenständen widmen. Jedoch die Lust und Inspiration für Musik kam zurück, und ich habe ihr gerne einen Platz frei gemacht.
Haben alle drei genannten Bereiche denselben Stellenwert?
Es gibt bei mir irgendwie immer Inspirationsschübe und Phasen, in denen ich nach dem einen oder anderen ein verstärktes Bedürfnis habe. Aber Lieder zu schreiben und zu spielen ist dabei doch der intensivste und emotionalste Ausdruck für mich.
Du hast bereits eine EP namens „nadir“ herausgebracht. Sind die Lieder darauf Eigenkompositionen?
Die Stücke auf der EP habe ich geschrieben, ja. Nur bei dem Lied „Wakening Spell“ ist die Melodie von der schwedischen Polska efter Juringius. „Nadir“ entspringt übrigens aus der arabischen Sprache. „Nadir“ ist das Gegenstück/Ebenbild und wird in der Geometrie sowie der Astronomie/Himmelsnavigation als die dem Zenit entgegengesetzte Richtung bezeichnet. Im Liveprogramm habe ich aber noch mehr traditionelle Melodien arrangiert. Neben Schweden zum Beispiel auch aus der Bretagne und Island. Die Melodien machen mir einfach Spaß. Sowohl natürlich sie zu spielen, aber auch das Kennenlernen und Zuhören. Im Moment entstehen weitere eigene Stücke.
Du spielst ganz verschiedene Instrumente, wie zum Beispiel eine Doppelflöte. Auch die keltische Harfe und Drehleier sind nicht gerade gewöhnliche Instrumente - wie kam es dazu, sie lernen zu wollen?
Als Teenager habe ich - hauptsächlich als Gesangsbegleitung - gern Gitarre gespielt. Aber richtig wohl am Instrument habe ich mich dabei nicht gefühlt. Daraufhin hab’ ich mich ein bisschen ausprobiert und bin dann bei den Genannten hängengeblieben. Kennengelernt habe ich sie durch die Musik und Bands auf Mittelaltermarktveranstaltungen, die ich gern hörte. Die bekanntesten sind da wohl beispielsweise Schandmaul, Omnia und Faun. Das Spielen der Drehleier und Harfe brachte ich mir selber bei.
Nochmals zurück zur Kleidung und den Postkarten: Woher nimmst du dafür die Inspirationen?
Die Modelle meiner Kleidung entstehen zuerst durch einfache Skizzen, in denen ich kritzele und ausprobiere, welche Formen mir gefallen. Und dann schaue ich, wie und mit welchen Materialien das alltagstauglich umsetzbar ist. Inspirationsfunken kommen da aus verschiedensten Richtungen. Mal beim Zeichnen, mal vom Material selber. Manchmal ein Detail von anderen, oft historischen Kleidungsstücken, auf dem basiert ich dann etwas Neues entwerfe. In meiner kleinen Werkstatt habe ich alles, was ich für die Kleidungsherstellung benötige. Bei den Bildmotiven ist das eindeutiger. Da finde ich Inspiration in der Natur, Mythologie und meiner eigenen Fantasie.
Du beschreibst auf Instagram deine Kleidungsstücke als „Wilde Couture“, warum?
Bei der Frage musste ich jetzt doch schmunzeln, weil ich mir erst neulich dachte, dass es da mal Zeit für eine Aktualisierung sei. Für diesen Untertitel habe ich damals nach Worten gesucht, die zum einen natürlich beschreiben, was ich mache und zum anderen aber auch schön klingen. Mit „Wilde Couture & Witch Crafts“ habe ich eine für mich angenehme Alliteration gefunden. Couture, weil es liebevolles und auch experimentelles Handwerk ist. Aber der Begriff, meist in Verbindung mit Haute, assoziiert ja eher extravagante Laufstegmode. Darum das Wort „Wilde" Schneiderei für Wildlinge und Waldelfen.
Dort ist auch von Hexenhandwerk zu lesen - fühlst du dich als Hexe oder was hat das zu bedeuten?
Auch da habe ich für mich mit den Worten gespielt. Aus „Witchy Arts & Crafts“ ist dann „Witch Crafts“ geworden - natürlich auch in Bezug auf „witchcraft“. Der Begriff „Hexe“ umfasst sehr viel Interpretation, Geschichte(n) und persönliche Einstellungen. Für manche ist es eine Beleidigung, für andere ein Titel und für wieder andere eine Lebensweise.
Aber um es kurzfassend zu beantworten: Ja. Ich lerne stetig - zusammen mit meiner Mutter - in der Wildkräuterkunde dazu. Es fing mit der Hausmedizin an, ganz dem Spruch nach: für jedes Leid ist ein Kräuterlein gewachsen. Aber auch aus dem Wunsch, all die verschiedenen Pflanzen am Wegesrand kennenzulernen. Ich glaube an die beseelte Natur, an Geisterwesen und die praktizierte Magie. Letztere halte ich persönlich aber gerne ganz schlicht. Zudem liebe ich Märchen, Sagen und Mythologien und versuche, all das in den ganz alltäglichen Alltag einzubinden.
Wie sehen denn die Pläne für die nähere Zukunft aus?
Ich möchte mir mehr Zeit zum Nähen frei räumen und ein Album fertig schreiben und aufnehmen. Einen Namen für das kommende Album gibt es noch nicht. Aber als Konzept soll es rund um den Garten gehen.
Mir ist bei meiner Recherche aufgefallen, dass es noch gar keine Auftrittstermine in Osterode am Harz gibt. Woran liegt es, kommt da noch etwas?
Ja, das ist wirklich schade. Durch meine Arbeit in Northeim knüpfe ich dort auch die meisten Kontakte und Freundschaften - und dadurch entstehen dann die Auftrittsmöglichkeiten. Grundsätzlich würde ich sehr gerne auch in Osterode musizieren.
Ihre Musik umfasst Lieder und Melodien aus tiefster Seele, die Texte handeln von feenhaften Wesen, inneren Dämonen, Geistern der Natur und verborgenen Zauberwelten, so heißt es. Melancholisch und schön anzuhören. Wer noch mehr über Gina Guenter und ihre Projekte erfahren oder etwas käuflich erwerben möchte, wird im Internet fündig. Ihre Homepage lautet www.kaunoka.com. Dort sind auch weitere Links zu Instagram, Facebook, Bandcamp und ihrem Etsy-Shop hinterlegt sowie Videos und Musikmitschnitte zu finden.
Livehaftig zu sehen ist Gina Guenter am 10. November um 19.30 Uhr bei der Märchennacht mit Ruth Brockhausen. Sowie am 22. Dezember um 16 Uhr beim Weihnachtskonzert im Saloncafé. Beide Veranstaltungen finden im Northeimer Theater der Nacht, Obere Str. 1, statt.
Fokus
Im Artikel genannt
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KAUNOKA
Keltische Harfe, Drehleier und Gesang
Theater der Nacht
Verwunschener Traumraum für Figuren- und Objekttheater
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