Ein Schauspiel der Täuschungsmanöver

Premiere von »Mord im Orientexpress«

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Wie so oft bei mörderischen Verwicklungen trügt der Schein in vielen Situationen. Was allerdings nicht trügt, ist die elegante Kulisse auf Rollen, für die Bühnen- und Kostümausstatterin Sonja Elena Schröder vor allem mit alten Holzplatten aus dem Festspielfundus gezaubert hat. Die Außenfassade mit Türen und Gepäckablage ist in edlem Blau gehalten, mit goldfarbenen Leisten verziert. Natürlich wurde auch das Siegel mit dem Buchstaben O und E auf Hochglanz poliert, so wie es sich für den Empfang der vermeintlich honorigen Reisegesellschaft gehört, die sich Stil und Etikette erster Klasse leisten kann. Auch das Innenleben dieses Orientexpresses kann sich sehen lassen, wenn die Elemente der blauen Fassade gedreht und gewendet werden und sich in den stilvoll ausgestatteten Zugabteilen und dem Salon ein mörderisches Komplott zuspitzt, dass den Meisterdetektiv immer wieder in die Irre führt.

Traditionell beginnt eine Bahnfahrt mit der Abfahrt des Zuges, aber Sarah Speiser hat zum Auftakt ihrer Inszenierung auch die Zuschauertribüne im Blick, wo ein diensteifriger Michel die Gäste eines Edelrestaurants In Istanbul stilvoll dirigieren muss, für die Kevin Dickmann später in ähnlicher Funktion als Maitre de Service auch im Orientexpress dienstbar zu sein hat. Zunächst für das heimliche Liebespaar Mary Debenham (Annika Steinkamp) und Oberst Arbuthnot (Johannes Krimmel) Timmers), dann für den Manager der Eisenbahngesellschaft Monsieur Bouc (Dominik Möller), der bald auf die besonderen Talente seinen alten Freundes Hercule Poirot vertrauen muss. Ihren ersten grandiosen Auftritt als temperamentvoller Poltergeist Helen Hubbard hat Tabea Scholz mit deren Faible für klare Ansagen und einen kräftigen Schuck Whisky. Am Publikum vorbei hastet der ängstlich bemühte Sekretär Hector MacQueen (Bas Timmers) des ominösen Samuel Rachett (Johannes Krimmel) der schon vor der Abfahrt nicht auf Sympathiepunkte Wert legt und die erste Reisenacht mit acht Messerstichen quittiert bekommt.

Weitere Mitreisende wie die Prinzessin Dragomiroff (Ellen Kärcher) und ihre scheinbar verschüchterte Begleiterin Greta Ohlsson (Eva Paulina Loska) finden sich am Bühnenbahngleis ein, ebenso wie die smarte Gräfin Andrenyi (Emily Seubert). Mit dem Sound rollender Räder und einer Dampfwolke nimmt die mörderische Reise Fahrt, bis sie durch eine Schneewehe ausgebremst wird, einen nächtlichen Einbrecher und die Entdeckung einer Leiche.

Schwer durchschaubare Täuschungsmanöver

Agatha Christies Meisterdetektiv ist eben auch empfänglich für Komplimente und macht sich erst nach anfänglichen Protesten ans Werk. Die Fülle von Indizien und verdächtigen Indizien, die auf einen möglichen Täter deuten, führen ebenso in die Irre, wie das Verhalten der Mitreisenden, die offenbar alle wissen, dass es sich bei dem Toten um einen Mörder handelt, der seiner gerechten Strafe einfach nicht entgehen durfte. In dem wachsamen Beobachter, der sich oft so abgeklärt und verschlossen gibt, rumort neben dem erprobten Misstrauen offenbar auch eine Menge Wut, weil die Täuschungsmanöver in diesem Fall so schwer durchschaubar sind, auf die sich die Verdächtigen gegen den Meisterdetektiv verständigt haben. Dann lässt Ferdinand von Seebach das Piano wieder dramatisch auftrumpfen oder die Posaune grollen und verstärkt die anhaltende Spannung musikalisch, die sich szenisch nicht immer überträgt.

Die Krimidramaturgie macht es Sarah Speiser auch nicht leicht. Absehbar ist Abfolge von Verhören und Verdächtigungen, in denen das Schauspielteam das Innenleben seiner Figuren mit der passenden Tarnung ummantelt. Die Bühnenbahnelemente werden für jeden Schlagabtausch mit Poirot verschoben und dann ist absehbar, was als nächstes folgt. Wieder kommt es zu einem dieser Frage-Antwort-Wechselspiele, bis sich schließlich abzeichnet, wer in dieser mörderischen Nacht alles zum Messer gegriffen hat und dass es trotzdem nicht zu einer Anklage kommen wird, Ein ratloser Hercule Poirot sieht seine Rechtsfestung erschüttert, weil die Tätergemeinschaft sich moralisch auf der besseren Seite sieht und sich dafür eben auf ein Schauspiel verständigt hat. Dafür bekommt esie auch fast so viel Beifall wie der Meisterdetektiv mit seinen Zweifeln.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Tina Fibiger

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

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Mord im Orientexpress - Agatha Christie

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