Die junge Bonnie träumt von einer glanzvollen Karriere. Alle sollen sie bewundern und feiern wie einen Hollywoodstar. Vom Ruhm eines Al Capone träumt der junge Clyde, der sich anders als sein Vater nicht an den ständigen Überlebenskämpfen erschöpfen will. Beide glauben, dass die Zukunft etwas Besseres für sie vorgesehen hat „I dream to be a star“ verkünden zwei lebenshungrigen Kids (Ann-Charlotte Wittmann und Niklas Brunner) und werden vom Publikum für ihren Enthusiasmus gefeiert. Aus diesem Enthusiasmus schöpft bald auch das Liebespaar Bonnie & Clyde“ (Annika Steinkamp und Lucas Baier), dass sich bei einer Autopanne erstmals begegnet und sich eine gemeinsame strahlende Zukunft ersehnt, die im Kugelhagel endet.
Leidenschaft und Enthusiasmus prägen die zweite Musicalproduktion in diesem Gandersheimer Festspielsommer von Anfang an, wie sie der Geschichte des berühmten Gangsterpaares in der Inszenierung von Sandra Wissmann auf den Grund geht. In Rückblenden wird erzählt, wie es zu diesem mörderischen Showdown kommen konnte und dass sich die politischen und sozialen Verhältnisse dabei nicht wegblenden lassen, wie sie in der Zeit der Großen Depression auch ländlichen Amerika herrschen. Armselige Behausungen und Hungerlöhne waren an der Tagesordnung, und wurden dann eben bibelfest ertragen, gleichmütig, spöttisch und manchmal auch verzweifelt oder eben nicht, wenn das magere Einkommen durch Diebstähle und Einbrüche aufgebessert werden konnte. Die kurzweiligen szenischen und musikalischen Episoden verdichten sich zu einem einfühlsamen Alltagspanorama, in dem die Fluchträume von Bonnie Parker und Clyde Barrow reiften. Mit Fünfzehn heiraten und mit Zwanzig Aushilfsjobs stemmen, weil der Gatte mal wieder im Knast sitzt, stand nicht auf der Siegerliste. Genauso wenig wie das Erziehungsheim für den 12jährigen und das verschärfte Strafmaß nach einer Serie kleinerer Diebstähle, dass dem brüderlichen Gefährten Buck ( Tim Müller) erspart blieb. Der hatte sich reumütig gezeigt und sich von seiner Frau Blanche (Nadine Kühn) auch nachdrücklich wieder auf den rechten und vor allem bibelfesten Weg verweisen lassen.
Dass fürsorgliche Mütter wie Emma Parker (Tabea Scholz) ständig mahnen, hält sie nicht davon ab, sich im Friseursalon mit ihren Nachbarinnen zu einem Lockenwickler-Chor zu verbünden. Es lebt sich doch um einiges entspannter, solange der strapaziöse Haushaltsvorstand hinter Gittern verweilt. Gelegentlich muss auch die Law-and-Order-Fraktion mit dem Sheriff (Bas Timmers) und seinem Gehilfen und Bonnie-Verehrer Ted Hinton (Johannes Krimmel) mal ausgehebelt werden. Wer die ungerechten Besitzstände ein wenig ausgleicht wie der gerade mal wieder flüchtige Clyde Barrow, verdient auch eine zünftige Tarnung unter der Trockenhaube. Dann kann sonntags wieder demütig gekniet werden, wenn Dirk Hinzberg salbungsvolle Priesterworte mit dem göttlichen Beistand zelebriert. In diesen Szenen zeigt sich die Inszenierung von ihrer komischen Seite und belebt die Chronologie der Ereignisse, die sich nicht nur dramatisch zuspitzen, sondern oft auch sehr pointiert, nachdenklich und emotional aufrührend. Ferdinand von Seebach und seine Band grundieren und bestärken diese Atmosphäre mit den Klangfarben von Country und Blues, Soul, Gospel und Swing. Sie lassen es auch rocken, wenn sich die Gemüter von Bonnie und Clyde erhitzen oder die von Buck und Blanche, oder wenn die Gesetzesfraktion auf eine härtere Gangart drängt, weil sich die Sensationsmeldungen über das wagemutige Gangsterpaar häufen.
Enthusiasmus und Leidenschaft
Auf Dombühne begegnet sich ein temperamentvolles Dreamteam, das zunächst vor allem eine Liebesgeschichte erzählt. Da ist der Hunger nach einem Leben, dass sich nicht im elenden Kampf um ein paar armselige Dollars erschöpft, wie er auf Clydes Eltern Cumie und Henry Barrow (Ellen Kärcher und Kevin Dickmann) lastet. Doch vor allem bestürmen sich Annika Steinkamp und Lucas in ihren Sehnsüchten nach Glanz und Anerkennung und nach einer Freiheit, die nicht von den herrschenden Verhältnissen diktiert wird. Sie genießen den gemeinsamen Rausch, die Euphorie und auch die Leidenschaft, mit der um Kompromisse gekämpft wird, um gemeinsam noch waghalsiger und noch leichtsinniger zu sein. Und das vor allem vor der plakativen Kulisse mit der Titelseite des „Arizona Daily Star“ mit der Ausstatterin Anja Müller bereits auf den blutigen Showdown deutet. „Barrow, Girl lured to death“ verkündet die Schlagzeile. Zu Tode gejagt wurde das Paar, das sich an der Motorhaube eines alten Ford lehnt, der die Wand durchdringt, und sich mit Glücksversprechen auf ein Roadmovie und sein Stationendrama begibt. Mit den ersten Überfällen, der Verhaftung Clydes, dem drakonischen Strafmaß und dem Gefängnisterror, bis Bonnie ihm zur Flucht verhelfen kann.
Auf dem Treppengestell, dass an die Bühnenempore und den Schauplatz für die kirchlichen Demutsgebote lehnt, hatte sich das Paar zuvor in seinen Ausstiegshoffnungen gesonnt. Jetzt wird es zur Gefängniszelle und zugleich zum Symbol, für all die existenziellen Kämpfe der sich alle Figuren in diesem Musical ständig stellen müssen. Auch die dritte markante Station, die Anja Müller mit der Ladentheke und dem Beauty Salon für die ständig wechselnden Schauplätze geschaffen hat, um die Fülle an Begegnungen zu grundieren, die sich fast gleichzeitig abspielen, bekommt eine weitere Lesart, Nach dem ersten tödlichen Schusswechsel und weiteren mörderischen Überfällen wird sie zur Kommandozentrale für die Treibjagd auf Bonnie und Clyde, die jetzt ohne Gewissensnöte und Vorbehalte im Bündnis mit Buck nur noch durchstarten. Die Hymne an das Leben, die Buck und Blanche einander gewidmet hatten ist ebenso verblasst wie der leidenschaftlich kämpferische Geist und die großen Gefühle, die in vielen Songs beschworen werden und im mütterlichen Abschiedsschmerz so berührend nachklingen.
Sandra Wissmanns Inszenierung verweigert sich den Zuschreibungen, die für gut oder böse plädieren, für verwerflich erklärbar oder begründbar. Die Regisseurin vertraut mit ihrem Ensemble musikalisch und szenisch auf die Wirkung von widersprüchlichen, gegensätzlichen und unvereinbaren Beobachtungen und Anmerkungen, die in diesem Szenario um Bonnie & Clyde kollidieren, weil es neben vielen Motiven auch viele Ursachen gibt, die für ihren Lebenshunger und dessen mörderischen Folgen haftbar zu machen wären. Zu denken gibt dann auch das Schlussbild mit dem Paar, dass sich gelassen zurücklehnt und weiß, dass es gelebt hat, bevor auf der Bühne ein Lichtgewitter einsetzt und eine Lausprecherstimme die letzte Treibjagd mit 160 Kugeln in 16 Sekunden für erfolgreich beendet erklärt. Enthusiasmus und Leidenschaft prägen diesen Musiktheaterabend in all seinen gedanklichen und emotionalen Farben, der sein Publikum begeistert. Als Höhepunkt in diesem Gandersheimer Theatersommer und als eine der brillantesten Inszenierungen in der Geschichte der Domfestspiele.
Fokus
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Im Artikel genannt
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Gandersheimer Domfestspiele Freilichtbühne
vor der Stiftskirche Bad Gandersheim
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