Der Rattenfänger in neuem Gewand?

Marcel Lewandowsky: »Populärer Populismus? Ein Abend für die Demokratie«

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Die letzte Veranstaltung im Literaturhaus für 2024 hatte es nochmal in sich! Schließlich leben wir in turbulente Zeiten. Populisten sind weltweit auf dem Vormarsch. Als wenn der Weihnachtsstress nicht schon aufwühlend genug ist, müssen einige von uns sich beim Weihnachtsessen mit Freunden auch noch mit Trump oder der AfD auseinandersetzen. Was sind aber nun eigentlich die Gründe für den Aufstieg der Rechtspopulisten? Und wie konnten sie so viele Wähler für sich gewinnen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Mainzer Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky in seinem neuen Buch »Was Populisten wollen«  (KiWi 2024). Im Gespräch mit Journalist Paul Hildebrandt nahm er das Phänomen Populismus genauer unter die Lupe. Die Veranstaltung »Populärer Populismus? Ein Abend für die Demokratie« fand am 12. Dezember statt und war gleichzeitig der Abschlussvortrag für 2024 im Literarischen Zentrum.

Zunächst erklärte Lewandowsky was eigentlich der Unterschied zwischen Rechtspopulismus und Faschismus sei. Schließlich bezeichnen viele Leute Trump als Faschisten. “Es gibt gute Gründe, Faschismus und Populismus gleichzusetzen. In einigen Fällen ist das sehr nachvollziehbar,” verdeutlicht Lewandowsky. Um aber ein besseres historisches Verständnis zu bekommen, definierte der Politikwissenschaftler beide Begriffe einzeln. “Faschismus wird oft auch als historischer Faschismus bezeichnet. Er entsteht in Ländern, bei denen die Demokratie untergegangen ist. Es braucht dann einen Führer, der ein neues politisches System etabliert.” Der Populismus unterscheide sich laut Lewandowsky folgendermaßen vom Faschismus. “Der Populismus tritt in einer etablierten Demokratie auf. Diese Demokratie befindet sich allerdings in krisenhaften Zeiten. Die Populisten wollen jetzt kein anderes System geben. Sie behaupten, dass unsere Demokratie übernommen wurde von der ‘moralisch verkommene’ Elite. Sie versuchen ein ‘wir’-Gefühl zu schaffen, indem sie sagen, ‘diese verkommenen Eliten sind nicht wie ihr.’ Die Populisten zeigen sich als Vertreter einer vagen umrissenen Gruppe: die schweigende Menge, die normalen Bürger. Leute mit autoritärer Einstellung, wählten folglich Trump oder die AfD.” Die meisten Rechtspopulisten lehnten die Demokratie nicht ab, sondern sie hielten sich dafür auserkoren, sich gegen die Eliten zur Wehr zu setzen. Entscheidende Faktoren für den Aufstieg der AfD seien die Eurokrise und die darauffolgende Flüchtlingskrise. Die Populisten schürten sich somit von den Ängsten, Unruhen und der Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Marcel Lewandowsky schaffte es gekonnt, das Phänomen einfach zu erklären und seine Thesen ausführlich zu begründen.

Informativ und lehrreich

Der Rattenfänger im neuen Gewand? Auf die Frage von Paul Hildebrandt, ob die Wähler der AfD “verführt” worden seien, hat Lewandowsky eine klare Antwort. “Man muss sich von dem Gedanken des Rattenfängers verabschieden,” stellt Lewandowsky klar. Stattdessen müsse man die Frage stellen, “was ist nun passiert, dass die Wähler zur AfD gegangen sind?” Seit den 70ern habe es viele “liberale” Veränderungen gegeben in Bezug auf Homosexuelle, Frauen, Migration und Religion. Diese Entwicklungen hätten eine Entfremdung bei vielen Wählern über die Jahre ausgelöst. Diese Entfremdung solle man nicht als Rassismus verstehen, sondern als “Xenophobie”. Besonders auch der ökonomische Wandel habe stark dazu beigetragen, dass es nun eine größere soziale Unsicherheit gibt. Und mit dieser Unsicherheit und Xenophobie kann die AfD Wähler für sich gewinnen, indem sie sagt: “dir geht es schlecht. Die Regierung hat kein Geld für dich, aber es werden viele Migranten reingelassen, die auch vor dir beim Arzt drankommen.”

Für Lewandowsky ist es wichtig zu zeigen, dass man Leute, die rechtspopulistischen Ideen anhängen, nicht isolieren sollte. “Man sollte ihnen dennoch zuhören, auch wenn es einen oftmals sehr schwer fällt.” Er berichtet von einem Uber-Fahrer in den USA, der ihn vor linksradikalen Studierenden warnt oder von einem AfD wählenden Ehepaar, das Angst hat vor einer »Frühsexualisierung« und Indoktrinierung durch Dragqueens an Schulen. Abschließend erklärt er, dass man durch Koalitionen und Kooperationen anderer Parteien der AfD am besten trotzen könne.

Ein sehr informativer und lehrreicher Abend für die Besucher:innen im Literaturhaus. Marcel Lewandowsky zeigte, dass er ein sehr kompetenter Berater in Bezug auf Populismus ist, der das Phänomen akribisch analysiert und erklären kann. Auf alle Zuschauer-Fragen hatte er aufschlussreiche Antworten und hat zudem noch mögliche Lösungsansätze geboten. Sein Buch »Was Populisten wollen«  (KiWi 2024) ist somit absolut empfehlenswert.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Keanu Demuth

Journalist und Autor beim Kulturbüro Göttingen

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Im Artikel genannt

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