Da ging es schon mal ordentlich ab am ersten Tag des Göttinger Literaturherbsts! Denn am Abend des 18. Oktober beehrte der Musiker und „Dorfpunker“ Rocko Schamoni das Publikum im Alten Rathaus und las aus seinem neuen Buch »Pudels Kern«. Auch an diesem Abend nahm Schamoni kein Blatt vorm Mund und erzählte von exhibitionistischen Einsätzen bis hin zu peinlichen Auftritten mit den Toten Hosen. Nicht nur das, er performte auch einige seiner Songs live auf der Bühne und mischte das alte Rathaus richtig auf! Darunter auch „Sex, Musik und Prügeleien“. Ein Song, der genau zu Göttingen passt, erzählt Schamoni schälmisch und augenzwinkernd.
„Mir wurde verboten, dass ganze Buch vorzulesen, sonst hätte ich es gemacht,“ erklärt er spaßig dem Publikum. »Pudels Kern« ist eine doppelte Fortsetzung, so Schamoni. Einerseits ist es der dritte Teil seiner „Freaks-Trilogie“ über Dropouts und Spinner in der Hamburger Nachkriegszeit. Für das Hamburg der 80er-Jahre entschied sich Schamoni, einen Blick zurück auf sein eigenes Leben zu werfen, denn auch er ist ein Dropout aus St. Pauli. Damit ist »Pudels Kern« gleichzeitig die Fortsetzung seiner Bestseller-Biografie »Dorfpunks« über seine Jugend auf dem Land in Schleswig-Holstein.
An diesem Abend versetze er das Publikum auf sehr humorvolle und unverblümte Weise zurück zu seiner Zeit als Außenseiter in Lütjenburg. Er ist 19, wird von bösen Blicken verachtet wegen seiner Vorliebe zu Punk-Rock-Bands wie den Pistols, den Stranglers und Co. „Bei Hitler, hätten sie dich längst vergast,“ ruft ihm sein gemeiner Nachbar zu. Der junge Rocko soll eine Töpferlehre anfangen. Doch wie es das Schicksal so will, sollte er nicht Dorftöpfer werden, sondern Dorfpunker. Denn es gibt „ein Glimmern am Horizont“, nämlich Hamburg mit seiner starken Anziehungskraft!
„Wir sind spontan begeistert!“ In Hamburg angekommen, trifft er auf der Reeperbahn die Punkerin „Trümmermartha“, die ihren Ledermantel öffnet und darunter splitterfasernackt ist! Er passt sich ihrem Dresscode an! Er beschließt mit Trümmermartha in Bars die Hüllen fallen zu lassen und auch seinen Mantel zu öffnen! Und die Leute dort ziehen nach! „Ich würde das heute gerne auch ausprobieren,“ sagt Schamoni dem Göttinger Publikum schamlos. Auf diese Bemerkung konnten die Zuschauer:innen einfach nicht anders als laut loszulachen.
Rocko Schamonis Anekdoten und Geschichten konnte man einfach stundenlang zuhören. Denn immer gab es mal schadenfreudige, mal selbstironische Witze, die richtig zündeten und die Lesung zu einem richtig angenehm-heiteren Abend machte.
Abwechslungsreicher Mix
Es folgte die erste Tonaufnahme als Mitglied der Fun-Punk Band Public Enemy nr. 7 und eine Tournee mit den Toten Hosen bei der er nichts weiter war als die „Schießbodenfigur“. Denn Schamonis erste Soloauftritte vor den Hosen verliefen alles andere als gut und gingen sprichwörtlich voll in die Hose! Er wird von Maiskolben, Tomaten, sämtlichem Gemüse beschossen! „Ich weiß nicht, wie ich das überleben konnte, aber hier sitze ich,“ sagt er dem Göttinger Publikum voller Selbstironie. „Das Einzige, was da hilft ist Bier!“
Zwischen seinen einzelnen Geschichten gab es aber auch reichlich Musik! Mit Mikrofon in der Hand performte er rockige Punk Songs wie „Der Tiger in der Nacht“ oder seine erste Single „Was kostet Liebe“. Mit viel Power, Charisma und seiner markant-rauchigen Stimme heizte er dem Publikum richtig ein und machte aus dem Event sogar eine musikalische Lesung! Hut ab für diesen abwechslungsreichen Mix.
1988 lösten sich dann die Ärzte auf und Schamoni sollte diese Lücke füllen. Er wurde zum „Bravo-Star“ gepuscht. New Kids on the Block waren zwar die Titel-Stars des Bravo-Covers, aber der junge Schamoni guckt selbstsicher aus dem „O“ des Brav“O“-Logos raus! Auf der berühmtberüchtigten Bravo-Party trifft er dann auf Milli Vanilli und schließlich wird er später der Betreiber des legendären Pudel Clubs.
Aber wie bekannt folgt auf den Höhepunkt der tiefe Fall und Schamoni verliert sich in Alkohol, Drogen und wird heimatlos, wovon er auch offen während der Lesung erzählt. Heute schaut der 58-jährige kritisch auf sein Leben zurück. Trotz allem sitzt er aber aufrecht in Göttingen und hat seinen Weg zurückgefunden!
Ehrlich, zügellos, und verdammt unterhaltsam! Die ungeschminkte Wahrheit eines Künstlers bekommt man so urkomisch wohl nur selten zu hören und zu lesen! »Pudels Kern« ist eine popkulturelle Zeitreise zurück in die Welt des Punks und zugleich das Resümee eines Musikers, der gelernt hat, seine Vergangenheit vollkommen zu akzeptieren.
Fokus
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Im Artikel genannt
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