Der Auftritt als ein Gesamtwerk

Konzert mit Bernd Begemann

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Begemann ist ein Talent, wenn es darum geht, den Raum zu lesen und die Energie des Publikums zu erkennen und in eine Richtung zu lenken, die alle abholt. Direkt mit dem ersten Lied schaffte er es, die Zuhörer:innen zum Mitsingen und Mitklatschen zu animieren – ob man den Text vorher kannte oder nicht. Seine lockere und ungezwungene Art, die ein gesundes Maß an Selbstvertrauen ausstrahlt, bewirkt, dass auch das Publikum sich locker und freier durch den Abend bewegt. 

Bereits beim Reinkommen sieht man einige Pullover und Jacken mit St.Pauli Aufdruck. Der Hamburgbezug ist von Anfang an deutlich zu spüren. Die Stimmung ist gut und es wird gejubelt, als Bernd Begemann sich durch das Publikum auf den Weg zur kleinen, aber sehr beliebten Bühne des Nörgelbuffs macht. Der Veranstalter kündigte auf der Website an, der „stilbewussteste Musik-Connaisseur der Hansestadt“ sei zurückgekehrt, um „einzufordern, was ihm rechtmäßig zusteht“. Und den Raum eingefordert hat er allemal. Begemann hat eine Präsenz inne, für die der begrenzte Raum des Nörgelbuffs fast zu klein zu sein scheint. Und dennoch schafft er es, eine familiäre und einbeziehende Stimmung zu schaffen. Und das ist auch das Ziel des Hamburger Musikers. „Ich will andere mit reinziehen in die Magie der Popsongs, die ich liebe“, erklärt er in einem Interview mit der TAZ. „Mir ist klar geworden, dass die Bühne der Raum ist, wo ich mich am sichersten fühle. Deshalb sind meine Konzerte so lang“, führt er fort. Kürzer als drei Stunden sind Begemanns Konzerte selten. Die Zeit liefe für ihn auf der Bühne anders. Jede Sekunde dehne sich aus und schaffe ein anderes Bewusstsein der Zeit.

Vielsagende Einfachheit

Die Sicherheit, die Begemann auf der Bühne spürt, übertrug sich an diesem Abend auch auf das Publikum. Es wurde nicht nur inbrünstig von Jung und Alt über den „lila Twingo“ gesungen, sondern genauso über politische Themen, Liebe und die „Slums von Eppendorf“. Das ist das Schöne an Begemanns Songs – ihre Vielfältigkeit. Sie scheinen simpel, doch sagen sie in ihrer „Einfachheit“ so viel aus. Denn die Songs werden durch die Anekdoten und die kleinen Einschübe, die der Musiker immer wieder einwirft, ergänzt und erhalten dadurch einen noch höheren Gewinn. Der Auftritt ist ein Gesamtwerk, welches nicht als einzelne Songs zu betrachten ist, sondern als ein in sich stimmendes Ensemble von Komik, Gesang, Poesie und Entertainment. So gingen die Konzertbesucher:innen nach anderthalb Stunden in die hart umkämpfte Raucher:innenpause. Denn auch hier macht sich Begemann ein Spaß mit dem Publikum. Er fühlte sich herausgefordert, als auf seine Äußerung, es gäbe jetzt eine Raucherpause ein „sehr gut“ aus dem Publikum kam. Neben einer Anekdote über die Lebensunterschiede von Raucher:innen und Nichtraucher:innen nutzte er die Situation sehr geschickt und humorvoll, um die Kommentare des Publikums in seine Show miteinzubeziehen. 

Diese Fähigkeit, sich so frei und sicher auf einer Bühne zu bewegen, mag auch daher kommen, dass Begemann bereits seit einigen Jahren auf Bühnen unterwegs ist. Mit seiner Band Die Antwort verbuchte er mit dem ersten Album im Jahr 1987 erste Erfolge. Neben seinen seither erscheinenden Solo-Alben und den Auftritten mit anderen Gruppen hatte Begemann großen Einfluss auf die Hamburger Schule. Hierbei handelt es sich um eine lose Musikbewegung, die Ende der 1980er entstanden ist. Sie lässt sich beschreiben als eine Mischung von Elementen aus Indie-Rock, Grunge, Punk und Pop. Den kommerziellen Höhepunkt erreiche sie in der Mitte der 1990er-Jahre. Auszeichnende für die Hamburger Schule sind die deutschsprachigen Texte, denen nicht selten ein hoher intellektueller Anspruch zugemessen wird. In diesen Texten steckt Gesellschaftskritik, eher linkspolitische Einstellungen und postmoderne Theorien. All das ist auch in Begemanns Solo-Auftritten präsent. Sich auch mal etwas angegriffen oder vor den Kopf gestoßen zu fühlen gehört daher genau so zum Abend, wie auch mal über andere lachen zu dürfen. So schaffen es die Texte nicht nur, dass man das Verhalten der „Reichen“ in den Hamburger Stadtteilen belächelt, sondern eben auch das eigene hinterfragt. Die jüngeren Leute lachten lauter, wenn ein Witz über das Verhalten der älteren Generation gemacht wurde, waren allerdings im nächsten Atemzug dann wieder selbst an der Reihe, wenn nun ein Witz über sie selbst folgte. Und auch wenn es eben das war – ein Witz – so regte dieser gleichermaßen zum Lachen wie auch zum Nachdenken an. Vielleicht wurde der ein oder anderen jüngeren Person, die bis zu dem Abend überzeugt war, dem momentanten „Trend“ zu folgen und nach Berlin zu ziehen, durch die mit voller Überzeugung vom Publikum gerufenen Textzeile „Alle bereuen Berlin“ nochmal ein Denkanstoß gegeben. Vielleicht aber auch generell, da die Stadt Hamburg an diesem Abend mit sehr viel Lob und offensichtlichem Zugehörigkeitsgefühl Begemanns davonkam.

Gehört, verstanden, herausgefordert

Nicht zu kurz kommen sollen an dieser Stelle jedoch Begemanns Gitarrenkünste. Denn auch diese haben den Abend sehr bereichert. Er wechselte immer wieder zwischen seinen beiden Gitarren und bezog alles, was er im Raum um sich herum fand, in seine Schaffung mit ein. So nutzte er die Holzbalken der Decke, den Mikrofonständer oder auch einfach die Wände, um eben die Klänge zu erzeugen, nach dem ihm gerade war. Es wirkte nicht einstudiert oder geplant, sondern ganz frei. So macht es jede Show einzigartig und unwiederholbar. Es entstand ein Abend, an dem unfassbar viel gelacht und gefühlt wurde, das Publikum sich gehört, verstanden und gleichzeitig herausgefordert fühlte und der Raum des Nörgelbuffs in all seinen Facetten genutzt wurde. Es wäre wohl auch nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, dass wohl auf alle, die da waren, etwas von diesem so selten zu sehenen Selbstbewusstsein und dem sich selbst nicht zu ernst nehmen übergegangen ist. Ganz nach Begemanns Einstellung: „Irgendjemand wird dich eh scheiße finden, also sorge dich nicht!“

Kulturbüro

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Autor:in

Ilka Grimm

Journalistin und Autorin beim Kulturbüro Göttingen

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Im Artikel genannt

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Bernd Begemann

Bernd Begemann, Mit-Erfinder der Hamburger Schule, stilbewusstester Musik-Connaisseur der Hansestadt, unterschätzter Gitarrist und unerreichter Bühnen-Entertainer, ist zurückgekehrt. Um das einzufordern, was ihm rechtmäßig zusteht… … „Eine kurze Liste mit Forderungen“ zelebriert Pop als Ereignis...

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