Das Alte Rathaus Stadtoldendorf

Der Weg eines alten Gebäudes in die Welt der Kunst und Kultur

Veröffentlichungsdatum

Dr. Jean Goldenbaum ist Komponist und Musikwissenschaftler, lebt seit März 2021 in Neuhaus im Solling und berichtet für das kulturis-Magazin von besonderen Konzertorten, an denen er als Musiker bereits auftrat.

 

Das Gebäude, das heute als Altes Rathaus Stadtoldendorf bekannt ist, blickt auf eine lange Geschichte zurück. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten große europäische Ereignisse wie der Deutsch-Französische Krieg zu einer Veränderung der gesamten territorialen Struktur der Region und gipfelten in der deutschen Einigung und der Ausrufung des Deutschen Reiches. Und die Kleinstadt Stadtoldendorf entwickelte sich wirtschaftlich: Neben der Leinenweberei und der Sandsteinindustrie wurden zu dieser Zeit vier Gipsfabriken gegründet. Inmitten dieses Szenarios erhielt die rund 2500 Einwohner zählende Stadt 1875 neben ihrer St. Dionys-Kirche ihr neues Rathaus.

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Der Direktor des Stadtmuseums Stadtoldendorf Helmut Walter erklärt, dass „das Haus wurde als kombiniertes Gebäude erbaut. Das Untergeschoß diente zum Unterstellen der Feuerspritzen, während sich im Obergeschoß die Amtsstuben der Stadtverwaltung befanden.”

In dieser Zeit begann auch die Umgestaltung anderer Gebäude in der Stadt. Die Schule, die sich im selben Viertel wie die Kirche und das Rathaus befand, wurde für ihr Gebäude zu groß und zog 1886 in einen Neubau vor dem Hagentor um. So wurde dieses Gebäude bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, noch vor dem Ersten Weltkrieg, zum Rathaus umgebaut und somit erhielt das heutige Alte Rathaus eine andere Nutzung.

In den 1930er Jahren diente es als Jugendherberge und nach dem Krieg beherbergte es zunächst Flüchtlinge und wurde dann zur Polizeistation. Im Jahr 1953 begann sich das Gebäude in einen mit Kultur verbundenen Raum zu verwandeln, als es zum Sitz des Stadtmuseums wurde, das bis 1982 bestehen sollte. Walter erklärt weiter: “Danach war das Gebäude so sehr in die Jahre gekommen, dass es abgerissen werden sollte. Glücklicherweise kam es dazu nicht. Das Haus wurde vollständig entkernt und eine Giebelwand musste erneuert werden. Seit 1987 dient es nun als Stätte der kulturellen Begegnung.”

Und so war das Alte Rathaus 112 Jahre nach seiner Erbauung, zwei Kriege und verschiedene Phasen der Stadtgeschichte überdauernd, zu einem vollwertigen Ort der Kultur und Kunst geworden.

In den kommenden Jahren würden dort in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum mehrere Ausstellungen organisiert, darunter „100 Jahre Sportverein TV 87 Stadtoldendorf“ (1987), „Die Geschichte des Charlottenstifts“ (1990), „Manche werden nie erwachsen“ (Puppen- und Spielzeugausstellungen, von 1990 bis 1993) und „Sie waren unsere Nachbarn: Die Geschichte der Juden in Stadtoldendorf“ (1996). Letzteres war das Ergebnis der wertvollen Arbeit des Journalisten Christoph Ernesti, aus der auch ein Gedenkbuch hervorgegangen ist.

1997 fand die Ausstellung „Figuren & Köpfe aus Eisen“ mit Skulpturen des Künstlers Peter-Clemens Otte (1949-2015) statt. Eigens für dieses Ereignis fertigte er eine 2,60 Meter hohe Skulptur mit dem Titel „Anthropomorph stehend weiblich“ an, die der Stadt Stadtoldendorf gestiftet wurde und heute direkt vor dem Alten Rathaus steht.

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Das Alte Rathaus Stadtoldendorf
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Jean Goldenbaum

Die Skulptur „Anthropomorph stehend weiblich“ des Künstlers Peter-Clemens Otte (1949-2015) vor dem Alten Rathaus Stadtoldendorf.

Im 21. Jahrhundert fanden an diesem Ort mehrere Konzerte – oft organisiert vom ‚Musik- und Kulturverein Stadtoldendorf‘ –, Lesungen und Ausstellungen von Gemälden und Fotos statt. Im November 2022 erregte auch ein außergewöhnliches Ereignis (gefördert vom Heimat- und Geschichtsverein Holzminden) die Aufmerksamkeit der Stadt und der Region: ein Konzert mit Werken von mir, Jean Goldenbaum, der diesen Artikel für Sie schreibt. So wurde das Alte Rathaus nicht nur zur Bühne für die Aufführung zeitgenössischer Musik, sondern empfing auch zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt drei israelische Musiker*innen (eine Sopranistin, einen Tenor und einen Gitarristen), die die von mir vertonten sechs Psalmen in der Originalsprache Hebräisch aufführten.

Der Realität und den aktuellen Ereignissen in der Welt zufolge fand im April 2023 ein Konzert mit den ukrainischen Musikerinnen Natalia Rud (Viola) und Kateryna Stroitieva (Klavier) statt, die als Flüchtlinge aus dem Russland-Ukraine-Krieg nach Deutschland kamen und in Stadtoldendorf ihr neues Zuhause gefunden haben.

So sammeln die Mauern des Alten Rathauses von Stadtoldendorf zwischen Tradition und Gegenwart viele Geschichten und bieten dem Weserbergland seit 36 Jahren einen Ort der Geborgenheit und Verbreitung von Kultur. Und wir freuen uns schon auf das 150-jährige Jubiläum des Gebäudes im Jahr 2025, das hoffentlich mit viel Kunst, Vielfalt und Freude gefeiert wird.

Autor:in

Jean Goldenbaum

Musiker, Komponist, Musikwissenschaftler und Autor des kulturis-Magazins

Fokus

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Im Artikel genannt

Im Artikel genannt
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Außenaufnahme Stadtoldendorf Altes Rathaus

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