Closer to the music – Tonstudio St. Blasien in Northeim

Günter Pauler und sein Label Stockfisch-Records stehen für Audioproduktion auf Weltklasseniveau

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In der Musik-Szene ist weithin bekannt, dass im historischen St. Blasien-Komplex mitten in Northeim eine renommierteste Musik-Produktions-Stätte ihren Sitz hat. Hier residieren Günter Pauler und sein Team mit dem Tonstudio und Stockfisch-Records. 1975 sind Günter und Evelyn Pauler aus Braunschweig nach Northeim gekommen und in das damals vom Verfall gezeichnete sogenannte Herrenhaus im St. Blasien-Komplex eingezogen. Im historischen Gewölbekeller wurde das Tonstudio eingerichtet und das Haus bewohnbar gemacht.

1975 ist das Jahr, in dem Pink Floyd „Wish you where here“ herausbrachten und die „Basement Tapes“ von Bob Dylan erschienen. Dylan war mit seiner legendären „Rolling Thunder Tour“ unterwegs in den USA. „Born to Run“ von Bruce Springsteen und „Bob Marleys „Live!“ stammen aus diesem Jahr und die Gruppe Ton Steine Scherben präsentierte ihr drittes Album „Wenn die Nacht am tiefsten“. Hannes Wader widmete sich mit „Volkssänger“ auf neue und zeitgemäße Art dem deutschen Volkslied. Ein Jahr zuvor hatte Günter Pauler als Tontechniker dessen dritte Langspielplatte „Rattenfänger“ aufgenommen.

Die musikalische Geschichte von Günter Pauler beginnt in Braunschweig. Seine ersten eigenen Aufnahmen machte er 1974 mit Werner Lämmerhirt. Zu der Zeit baute Pauler in seiner Werkstatt Beschallungstechnik für Künstler aus der damals aufblühenden Folkszene. In Braunschweig gab es einen Folk-Club, in dem sich Paulers Freund Hansi Dobratz als Veranstalter engagierte. Es entwickelten sich Kontakte zu bekannten Namen wie Hannes Wader, Werner Lämmerhirt, Ray Austin, Klaus Weiland, Peter Finger und anderen. Pauler und Dobratz liebten diese Musik und hatten die Idee, Ton-Aufnahmen mit Künstlern der Folk-Szene zu machen und Plattenfirmen anzubieten. Mangels Interesse der Firmen gründeten Pauler & Dobratz ihr eigenes Plattenlabel „Stockfisch“. Die erste Veröffentlichung „Ten Thousand Miles“ mit Werner Lämmerhit war ein ermutigender Start. Waren die Stücke dieser Platte mit einem einfachen aber guten Tonband und zwei Mikrofonen für Gesang und Gitarre noch im Wohnzimmer und in Paulers Audio-Laden in Braunschweig aufgenommen worden, wurde für die folgende Produktion „Session“ mit weiteren Musikern eine Schule im Braunschweiger Umland gemietet. 

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Ein schwarz-weiß Foto des St. Blasien Herrenhaus
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von unbekannt als "Archiv von Günther Pauler"

Das St. Blasien Herrenhaus war in den 70er Jahren stark heruntergekommen, bevor Günter und Evelyn Pauler von Braunschweig nach Northeim zogen und den Komplex umbauten.

Das Tonstudio in Northeim

Der nächste Schritt war die Einrichtung eines Ton-Studios. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort kam Günter Pauler nach Northeim. Der damalige Stadtjugendpfleger und spätere Kulturamts-Leiter Harald März hatte bereits einige der mit Pauler und Dobratz bekannten Künstler für Konzerte nach Northeim geholt und vermittelte Paulers Anliegen in Rat und Stadtverwaltung. So kam es zur Einrichtung des Ton-Studios im historischen Gewölbekeller im St. Blasien-Komplex am Grafenhof im Zentrum von Northeim und zu einem neuen Kapitel in der rund 1000-jährigen Geschichte von St. Blasien.

Eigentlich gibt es drei Studios bei „Pauler Acoustic“. Im weiträumigen Erdgeschoss sind die beiden Studios für die „Nach“-Bearbeitungen der Aufnahmen für die danach folgenden Pressungen der Platten und CDs platziert: Das Pre-Mastering-Studio mit Hans-Jörg Maucksch und das Platten-Schneidestudio, der Arbeitsplatz von Hendrik Pauler. Ein Treppenabgang führt tief hinab in das mittelalterliche Kellergewölbe zur beindruckenden „Keimzelle“ des Ganzen, dem Aufnahmestudio von Günter Pauler. Zum Aufnahme-Team gehören dort je nach Produktion seit vielen Jahren Inés Breuer und neuerdings als Assistentin Leonora Schulze. Für Fotos, Videos und die grafische Gestalten der CD-Booklets sorgt Emre Meydan.

Die Beschreibung von Aufnahmeprozessen, die Veränderung in der Musikproduktion von analogen Geräten zur heutigen digitalen Welt, die verschiedenen Audio-Formate, die Klangoptimierung älterer Aufnahmen und viele damit zusammenhängende Aspekte können hier nicht detailliert behandelt werden. Das wäre eine eigene Geschichte. Eine spannende zudem, denn Günter Pauler hat das alles miterlebt und diese Entwicklung für seinen Betrieb sehr kreativ genutzt. Seine Arbeit und seine Produkte haben in der audiophilen Szene einen herausragenden Ruf mit Referenzwert. Bei seiner Firma „Pauler-Acoustics“ stehen in den drei klangoptimierten Räumen nahezu alle digitalen und analogen Tools und Geräte zur Klangbearbeitung und Soundrestauration zur Verfügung. Für die bestmögliche Tonaufnahme sorgen exzellente und teilweise äußerst seltene Mikrofone. Sowohl im Mastering-Studio wie im Plattenschnitt werden in großem Umfang Fremdproduktionen bearbeitet. Im Tonstudio aufgenommen werden seit vielen Jahren nur noch die eigenen Stockfisch-Produktionen.

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Das Team von Stockfisch Records vor dem Eingang zum Haus
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Stockfisch Records

Das Stockfisch-Team: Hintere Reihe von links nach rechts: Hendrik Pauler, Emre Meydan, Hans-Jörg Maucksch, Vordere Reihe: Inés Breuer, Günter Pauler, Evelyn Pauler

Musiker, Bands, Folk Freak & Folk Friends

Die allererste Stockfisch-Produktion im neuen Studio war eine Platte mit der Folk-Gruppe „Elster Silberflug“. Es folgten weitere Aufnahmen mit anderen Folk- und Rockgruppe und vor allem Gitarristen. Nur einige Namen aus den ersten gut 30 Jahren: Fiedel Michel, Ray Austin, David Qualey, Friedemann, Klaus Weiland, Leo Clou, Liederjan, Lilienthal, Manfred Jaspers, Pit Budde und Cochise, Bernies Autobahn Band, Martin Kolbe & Ralf Illenberger, Wizz Jones, Peter Finger, Colin Wilkie, Pierre Bensusan und Mike Silver.

Eine mehrjährige Zusammenarbeit gab es schon sehr frühzeitig Ende der siebziger Jahre bis in die neunziger Jahre hinein mit dem befreundeten Plattenproduzenten Carsten Linde aus dem Raum Göttingen und dessen Labels „Folk Freak“ und „Wundertüte“. Herausragend die beiden „Folk Friends“–Doppelalben jeweils mit Hannes Wader und Werner Lämmerhirt sowie mit bedeutenden Musikerinnen und Musikern der internationalen Folk-Szenen aus Großbritannien und den USA. Die ersten Aufnahmen wurden 1978 bei Hannes Wader in dessen Windmühle Fortuna in Nordfriesland gemacht. Die zweite Folk-Friends Produktion entstand zwei Jahre später im Studio in Northeim.

 

Aufnahmen für den NDR

In den achtziger Jahren wurde auch der NDR in Hamburg darauf aufmerksam, dass es in Northeim jemanden gab, der für hervorragende Tonaufnahmen stand. Günter Pauler bekam vom NDR mehrfach Aufträge, mit mobilem Equipment nach Hamburg anzureisen und dort für den NDR Live-Aufnahmen für einige Radio-Konzerte zu machen. Es kam zu Live-Mitschnitten von Konzerten mit Donovan. Joan Baez, Pat Metheny und seiner Formation 80/81 sowie mit dem Jazz-Klarinettisten Benny Goodman. Ein Highlight für Günter Pauler. Die Aufnahme des Goodman-Konzertes aus Hamburg von 1981 ist inzwischen in der Stockfisch – Reihe „Analog Pearls“ veröffentlicht worden. 

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Altes schwarz-weiß-Foto: Musiker mit Günter Pauler vor dem Studioeingang
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Michael Meyborg

Dieses Foto entstand bei der Hannes Wader-Produktion "Wieder unterwegs" im Jahr 1979 vor dem Stockfisch-Studio. Hintere Reihe: Lutz Berger, Günter Pauler, Ulli Maske, Vordere Reihe: Martin Kolbe, Jörg Suckow, Ralf Illenberger, Hannes Wader, Eberhard Weber

Singer & Songwriter

Heute prägen Aufnahmen mit Singer & Songwritern das Stockfisch-Programm. David Munyon, Katja Werker und viele, oft unbekannte Künstler, oft aus Großbritannien und den USA, haben in Northeim ihre Songs eingespielt und Günter Pauler hat anschließend im nächsten Schritt mit Phantasie und nach seinen Vorstellungen die teilweise aufwändigen Arrangements kreiert. Bei der Umsetzung seiner Ideen kann er auf hochkarätige Studio-Musiker bauen, die wesentlich zu den Klangbildern beitragen, wie der leider 2005 viel zu früh verstorbene Gitarrist Chris Jones aus Reno/Nevada. In seine Fußstapfen sind später der Schotte Ian Melrose und Jens Kommnick getreten. Bei einer Vielzahl der Produktionen ist der gebürtige Northeimer Multiinstrumentalist Beo Brockhausen vertreten, der mit Saxophonen, Flöten, Akkordeon, Dudelsack, Gitarren, Sitar, Sarod und unzähligen Percussions-Instrumenten eine große Zahl von Einspielungen mit seinen Klängen und kreativen Ideen bereichert hat. Auch die Instrumental-Spezialisten Peter Funk aus Göttingen, Nils Tuxen und Martin Huch aus Hannover werden immer wieder für Slide-Gitarren-Parts angefragt. Der Mastering-Ingenieur Hans-Jörg Maucksch hat bei vielen Produktionen selbst als Kontrabassist und E-Bassist für die wichtigen tiefen Töne im musikalischen Fundament gesorgt. Auch Lydie Auvray und Manfred Leuchter, jeweils am Akkordeon, Michael Kleinhans an der Tuba und die Harfenistin Ulla van Daelen sowie häufig Lea Morris mit Backgroundgesang haben mit stimmungsvollen Beiträgen Aufnahmen veredelt.

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Werner Lämmerhirt
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Manfred Pollert

Seine ersten eigenen Aufnahmen machte Günter Pauler 1974 mit Werner Lämmerhirt. Dem 2016 verstorbenen Musiker widmet Pauler mit „Werner Lämmerhirt … es bleibt die Erinnerung“ ein musikalisches Vermächtnis.

Wader, Lämmerhirt, Taylor

In der musikalischen Geschichte von Stockfisch sind drei wichtige Künstler ganz besonders erwähnenswert: Hannes Wader, Werner Lämmerhirt und Allan Taylor. Der Kontakt zu Hannes Wader ist seit den frühen siebziger Jahren nie abgerissen. Waders herausragende Platten „Wieder unterwegs“ und „Es ist an der Zeit“ und wurden 1979 und 1980 in Northeim aufgenommen. Nach dem Ende seiner Bühnenkarriere macht Hannes Wader nun seine Studio-Aufnahmen für Stockfisch in Northeim und man darf gespannt sein, was da nach den bisherigen zwei Veröffentlichungen „Poetenweg“ und „Noch hier“ noch kommen könnte.

Die Zusammenarbeit und Freundschaft von Pauler mit dem viel zu früh verstorbenen Sänger und stilprägenden Gitarristen Werner Lämmerhirt begann schon 1974 und ist ein schöner Beleg für eine dauerhafte künstlerische Beziehung mit zahlreichen Produktionen. „Werner Lämmerhirt … es bleibt die Erinnerung“ ist der Titel einer neuen in diesem Jahr erschienenen Lämmerhirt-CD. Dahinter steht eine besondere Geschichte, erzählt Günter Pauler: „Am 14.10.2016 verstarb Werner Lämmerhirt. Bei meinem letzten Besuch in der Klinik sprach er von Musik, die er in seinem Haus aufgenommen hatte. Er schenkte mir sein Tonbandgerät und eine Handvoll Bänder. Erst jetzt erinnerte ich mich daran. Vielleicht war es eine Art „Vermächtnis“ und Erinnerung an unseren langen gemeinsamen Weg. Beim Anhören der Bänder merkte ich immer mehr, dass es wohl sein Wunsch war, diese Aufnahmen zu veröffentlichen“. 

Der 1945 geborene Sänger, Autor und Gitarrist Allan Taylor aus England hat seit 1996 alle seine Aufnahmen in Northeim gemacht. Mehr als 15 Produktionen sind das bislang. Dazu gibt es zwei DVDs mit Konzertmitschnitten, eine davon (15 Years on the Road, 2016) wurde im Bürgersaal Northeim aufgenommen. Eine weitere von Stockfisch produzierte DVD (The Endless Highway, 2009) ist eine Film-Dokumentation über diesen herausragenden Künstler .„There was a time“ heißt eine Veröffentlichung, bei der Allan Taylor mit seinen Songs vom Göttinger Symphonie-Orchester begleitet wird.

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Außenaufnahme des St. Blasien-Komplexes
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Klaus Hoheisel

Der St. Blasien-Komplex mit dem Pauler-Tonstudio ist schon lange nicht mehr verfallen sondern ein gut versteckter Geheimtipp inmitten der Northeimer Innenstadt.

Besondere Projekte

Auf manch bemerkenswerte Produktion aus dem Northeimer Tonstudio könnte noch eingegangen werden: Die Aufnahmen mit dem Ensemble „The Spirit of Gambo“ mit niederländische Musik aus früheren Jahrhunderten, die der britischen Folk-Gruppe Ranagri und des Sängers Tony Christie sowie die außergewöhnliche Einspielung mit Anne Clark und ihren gesprochenen Texten zu spontan improvisierter Musik.

Manchmal verlässt Pauler auch sein Studio, so für die Produktion von „Epics of Love“ mit der berühmten chinesischen Sängerin Song Zuying und dem „China Philharmonic Orchestra. Diese Aufnahmen von chinesischer Liebes-Lyrik aus einer Zeitspanne von mehr als 2500 Jahren sind von Günter Pauler und seinem Team mit eigenem Equipment im September 2011 in der Concert Hall of China National Radio in Beijing in China gemacht und mit einer besonderen Auszeichnung gewürdigt worden: Die Produktion wurde 2015 in der Kategorie „Best Surround Sound Album“ für den GRAMMY nominiert.

„Stockfisch-Records“ steht in der Musikwelt für naturnahe, unverfälschte Klänge ohne Verzerrungen und Verfremdungen, für perfekte Produktionen und eine hochwertige Präsentation in der Gestaltung, dem Informationsgehalt, Texten und Bildern. Der Anspruch ist, ganz nah an der Musik zu sein: „closer to the music“ dementsprechend das stimmige Motto.

Weitere Informationen zum Studio unter pauleracoustics.de und weitere Bilder unter stockfisch-records.de.

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Blick auf das Recording-Studio im Stockfisch-Tonstudio
Lizensiert gemäß Alle Rechte vorbehalten von Pauler Acoustics

Ein Blick in den Regieraum des Tonstudios St. Blasien im mittelalterliche Kellergewölbe des St. Blasien Komplexes.

Verfasser:in

Klaus Hoheisel

Kulturveranstalter und Autor im kulturis-Magazin

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Im Artikel genannt

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