Wer „Druck“ im Zusammenhang mit dem Wort „Arbeit“ hört, denkt meist nicht an Kunst, eher an Leidensdruck. Doch in Hann. Mündens Altstadt, im Werkstattatelier FETTETYPEN, ist von Leid bei der Arbeit nichts zu spüren. Vielmehr zeigt sich, dass durch einen beherzten Griff in die Buchstaben aus Leid blitzschnell auch „Lied“ werden kann. Am Ende steht es da sogar schwarz auf weiß. Durch fantasievolles Jonglieren mit Lettern entsteht hier regelmäßig Ungewöhnliches. Eines Tages womöglich auch das Wort „Liedensdruck“. Zuzutrauen wäre es der umtriebigen Künstlerin mit ihrer kleinen, aber feinen Druckwerkstatt. Buchstaben sind ihr Ein und Alles. Aber beginnen wir von Vorn.
In der vermutlich schönsten Gasse Hann. Mündens, zwischen Alter Werrabrücke und Welfenschloss, befindet sich direkt in der alten Stadtmauer, in der Sydekumstraße 9, die kleine Druckwerkstatt von Barbara Brübach. Hier widmet sich die gelernte Goldschmiedin seit 2015 der manuellen Druckkunst. Als Autodidaktin gestartet. Zwei historische Druckpressen stehen zwischen alten Fachwerkbalken und integrierten Resten eines früheren Antiquitätenlädchens. Eine dritte Druckmaschine ist wenige Häuser weiter als Dauergast bei einem Nachbarn eingestellt. In der Werkstatt war dafür absolut kein Stellplatz mehr, denn sie ist gerade mal 35 Quadratmeter groß.
Bei schönem Wetter ist die Werkstatt schon von weitem zu sehen, vor der Tür steht dann eine große Staffelei, die Tür selbst ist weit offen und ermöglicht einen ersten Blick in das Innere des alten Fachwerkhauses von 1680. Freche Spruchpostkarten an der Tür, fast immer selbst getextet und auch vor Ort produziert, sorgen für ein erstes Schmunzeln oder auch lautes Lachen. „Schön, daß du in meiner Humorgruppe bist!“ oder „Bitte achten sie auf den Mindestanstand“ sind charakteristische Motive, die sich auf den Typografiken (oder Plakaten) von Brübach finden. Je nach Stimmung, gesellschaftlicher oder politischer Situation entstehen auch deftigere Sprüche mit entsprechenden Illustrationen, wie „Popolismus“ oder „Arsch hoch liebe Demokraten!“ Wer fühlt sich da nicht sofort verleitet, die Nase tiefer in die Werkstatt zu stecken, um den geheimnisvollen Geräuschen im Halbdunkeln auf die Spur zu kommen… und der Inhaberin der Werkstatt.
Barbara Brübach ist gebürtige Witzenhäuserin und seit vielen Jahren Wahl-Mündenerin. Sie besitzt eine fröhliche Natur und eine unbändige Freude an Sprache und Experimenten jeder Art. Viel bedrucktes Papier ist zu sehen, aber nicht nur. Dinge, die nicht mit ihren Maschinen zu bedrucken sind, aber ihrer Meinung nach durch ein Wortspiel „gepimpt“ werden könnten, kalligrafiert die Künstlerin kurzerhand per Hand. So geraten Großmutters alte Sammelteller zu spielerischen Wort-Bild-Kunstwerken. Außerdem entstehen immer wieder auch Collagen und Gemälde auf Leinwand, Wabenplatten oder Holz. Erlaubt ist, was inspiriert und in die Finger zu bekommen ist. Hauptsache, die Idee lässt sich umsetzen und macht Spaß!
Begeisterung für den Werkstoff Papier, für Schriften, das Druckhandwerk, das im Handsatz entschleunigte Erarbeiten von Texten und die unzähligen grafischen Gestaltungsmöglichkeiten sind Brübachs Antrieb. Aber Freude ist der einzige Motor in der Produktionswerkstatt von FETTETYPEN. Alles andere geschieht manuell und analog. Nur Kopf, Herz und Hand sind beteiligt. Ansonsten Papier in verschiedenen Stärken, Qualitäten, Einfärbungen, natürlich die Farben, die für den Druck benötigt werden und schließlich die beweglichen Lettern aus Holz oder Blei, die fein sortiert nach Schriftsätzen und –typen in alten Setzschränken ruhen, und die Barbara Brübach nach und nach gesammelt, gekauft und geschenkt bekommen hat. Seit 2016 hat sie aus einer zufälligen Begegnung heraus einen „Meister“ gefunden. Der gelernte Drucker und ehemalige Leiter der Druckwerkstatt in der Kunsthochschule Kassel, Erich Schröder, tauscht gerne Lehre gegen Nutzung und druckt regelmäßig auch seine eigenen Projekte bei FETTETYPEN.
Der Druckprozess selbst beginnt mit einer Phase der Feinmotorik, notwendig für den präzisen Umgang mit den zum Teil sehr kleinen Lettern und zur Vorbereitung der Druckvorlage. Jedes Layout ist eine eigene kleine Komposition und wird – wie zu Gutenbergs Zeiten – per Hand gesetzt. Im Anschluss benötigt die Druckerin eine gehörige Portion Muskelkraft. Ohne Kraft kein Druck. Zwar kommen hier die Maschinen ins Spiel, doch der nächste Schritt ist eine Reise in die Vergangenheit, die Druckpressen sind alte Damen aus den Jahren um 1900 bis 1966. Von alleine kommen sie nicht in die Gänge.
Auf die erste Druckmaschine, die Andruckpresse Korrex, laufen Besucher*innen direkt zu, wenn sie die Werkstatt betreten. 580 Kilogramm ist sie schwer, und natürlich hat sie eine Geschichte. „Meine Korrex von 1955 ist ein seltenes Exemplar, gebaut für Formate bis 50 x 70 cm. Sie wurde ursprünglich für Korrekturabzüge und Kleinauflagen entwickelt. Heute ist sie das Kernstück meiner Druckerei. Mit ihr lassen sich Buchdruck mit Holz- und Bleilettern ebenso wie alle anderen Hochdruckverfahren wie z.B. Linol und Holzschnitte realisieren.“ Mindestens genauso beeindruckend wie die alte Korrex ist der Boston-Handtiegel aus Kamenz, der ums Eck auf einer erhöhten Arbeitsplattform steht und vermutlich über einhundert Jahre alt ist. Mit dieser Druckmaschine fertigt Barbara vor allem Post- und Visitenkarten. Das maximale Druckformat ist A5. Und natürlich gibt es auch hier viel über die Druckkunst zu lernen.
Wenn Kopf und Muskeln eine Pause benötigen oder das Wetter besonders schön ist, sitzt Barbara Brübach auf ihrer Holzbank vor dem kleinen krummen Haus und strahlt mit der Sonne um die Wette. Durch die eigene Druckerei ist ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen. Doch bald geht es wieder rein, die Zeit ist immer knapp, die Ideen gehen nicht aus und wollen aufs Blatt. Also zurück ins Druckvergnügen! Theorie und Praxis des traditionellen Buchdrucks sind direkt erfahrbar und als Gast sieht man die Ergebnisse nochmals mit anderen Augen. Hier entstehen kleine Kunstwerke in kleiner Auflage zum Anfassen und Nachhausetragen! Texte und Illustrationen, Einblattdrucke mit Gedichten, Lesezeichen, Plakate oder auch Postkarten mit persönlichen und erfrischenden Statements, die die Gegenwart kommentieren.
So viel Leidenschaft ist ansteckend, und so haben die Plakate und Karten der FETTENTYPEN bereits viele Liebhaber gefunden. Das Werkstattatelier ist innerhalb der acht Jahre seines Bestehens zu einem Highlight der Hann. Mündener Altstadt geworden – und darüber hinaus Teil eines Netzwerkes, in dem sich Künstler und Designer sowie Drucker, Setzer und Freunde der Druckkunst begegnen und austauschen. Barbara Brübach ist regelmäßig mit druckenden Freunden am Tag der Druckkunst aktiv, sie engagiert sich in vielen Zusammenhängen, zum Beispiel mit Sonderdrucken zum Internationalen Frauentag, für die Denkmalaktivisten in Hann. Münden, als Teilnehmerin des Festivals DenkmalKunst – KunstDenkmal 2019 und 2022. Barbara Brübach war (Mit-)Initiatorin und Namensspenderin der DruckerBande Einbeck und gibt dort Workshops um Mitstreiter für die große Offene Druckwerkstatt zu gewinnen.
Im letzten Jahr gab es nach der langen Corona bedingten Pause endlich auch wieder Formate mit Publikum, und FETTETYPEN war unter anderem Teilnehmer beim Druckfestival HOT PRINTING im Klingspor Museum in Offenbach und im Herbst unter den Ausstellern auf der 15. Frauenfelder Buch- und Druckkunst-Messe 2022 in der Schweiz.
Die alte Druckkunst lebt! Und ein Teil dieses wunderbaren und teilweise schon verschollenen Handwerks ist in Hann. Münden zu erfahren. In der Regel jeden Sonntag-Nachmittag.
FETTETYPEN, Sydekumstraße 9, 34346 Hann. Münden, geöffnet sonntags von 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung via Email werkstatt@fettetypen.de
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Im Artikel genannt
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Barbara Brübach
FETTE TYPEN – Druckgrafik und Typographie
Atelier FETTE TYPEN
Buchdruck, Druckgrafik, Zeichnungen, Bilder und andere Objekte.
DruckerBande
Offene Druckwerkstatt für schwarze und blaue Druckkunst
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