Joe Atlas ist der stärkste aller Männer. Einst lag ihm die Welt zu Füßen, das Rampenlicht war sein Zuhause. Als Schaustellerfamilie reiste er gemeinsam mit seiner Frau Diana (Nadja Schröder) und seinen zwei Kindern Artemis (Sophia Heidenreich) und Apollo (Kieran Cuhls) quer über den Globus. Menschen kamen von überall her, um die waghalsigen Kunststücke zu sehen, die so extrem und unglaublich sind, dass sie ihm nie ein Mensch nachmachen könnte. Doch mittlerweile ist der Höhepunkt vergangen, das Rampenlicht längst erloschen und seine Familie hat sich von ihm abgewendet. Anstatt sich allerdings mit einem denkwürdigen Vermächtnis würdevoll in den unvermeidlichen Ruhestand zu begeben, hält Joe Atlas verzweifelt an seiner rumreichen Vergangenheit fest.
Es ist der Hochzeitstag seiner Tochter Artemis, doch der einzigartige Joe Atlas kann nicht akzeptieren, dass seine Tochter seinen Schützling Ricky (Torben Henze), eine von ihm persönlich ausgebildete, billige Kopie seiner selbst, heiraten will. Und dabei bleibt er standhaft, was mit der Inszenierung durch die Regie (Lennart Kanitz) besonders symbolhaft und eindrücklich dargestellt wird. Fast das ganze Stück lang nämlich bleibt Kaminski an ein und derselben Stelle stehen – in der Hand ein Seil, mit welchem er die Sonne zu sich herunter zieht. Eine Metapher für Joes egoistischen Prioritäten, seine sukzessiv schwindenden Kräfte und sein grenzenloses Geltungsbedürfnis. Dazu abwechselnde Dialoge zwischen Joe und den übrigen Figuren, die so repetitiv, frustrierend und teilweise auch vernichtend geschrieben sind, dass die Fragilität des Protagonisten schleichend, aber ausdrücklich in den Vordergrund rückt.
Die Konzeption der Figur Joe Atlas, welcher von Martin Kaminski gespielt wird, funktioniert als eine hyperbolische Überzeichnung antiquierter Vorstellungen von Männlichkeit. Die Exzellenz, mit der dieses Schauspiel gelingt, zeigte sich in der Resonanz des Publikums, welches abwechselnd von Gefühlen der Belustigung, der Fremdscham, aber auch der Antipathie ergriffen war. Kaminski portraitierte eindrucksvoll eine hochkomplexe Persönlichkeit, die um jeden Preis eine Fassade der erbarmungslosen Autorität, eisernen Härte und stählernen Gottgleichheit aufrechterhält. Gleichzeitig haben Publikum wie Familie längst begriffen, dass dieser Mann vielmehr ein Hochstapler und Feigling ist, der sich mit aller Macht selbst zu belügen versucht.
Im Zuge des Stückes etabliert Haidle subtil auch eindeutige feministische Fragestellungen. Die Beziehung von Joe Atlas zu den Frauen in seinem Umfeld – seiner Ex-Frau, Tochter sowie neuen Assistentin Denise (Katharina Koch) – ist integraler Bestandteil der Darstellung. Dabei ist ein eindeutiges Muster zu erkennen, wobei nur allzu deutlich wird, wie Männer mit ähnlich dominierenden Wertvorstellungen von sexistischen Strukturen profitieren. Joe Atlas versteht sich als Beschützer, ist aber eigentlich doch Unterdrücker. Emanzipation ist für ihn eine Gefahr, da Frauen für ihn entweder als Objekt des Eigentums oder der Begierde existieren. Allzu deutlich wird die Ausbeutung femininer Liebe und Träume, um ein poröses Selbstverständnis von unerschütterlicher Maskulinität zu konstituieren.
Als eindeutige Botschaft und Positionierung ist in diesem Zusammenhang auch das Ende zu verstehen. Für Joe Atlas gibt es kein Happy End – seine Tochter heiratet und alle, die er einst liebte, haben ihn verlassen. Zurück bleibt ein gebrochener und desillusionierter Mann. Die Show, die einst ein solches Konzept von Männlichkeit zelebrierte, ist längst vorbei.
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