„Uns blüht was“ lautet vielsagend das Motto der der 64. Gandersheimer Domfestspiele. Hier kann der aufmerksame Betrachter nicht nur die Verbindung zur Landesgartenschau ziehen, die in diesem Jahr in der Kurstadt ihre Blüten trägt, sondern auch zu den vielen Gandersheimer Spielclubs: In diesen lässt der Theaterpädagoge Lukas Keller wohl manches verborgene Talent aufblühen. Seit April 2021 ist Lukas Keller Theaterpädagoge bei den Gandersheimer Domfestspielen. Weil die Spielzeit gerade begonnen hat, ist der 26-Jährige jetzt damit beschäftigt, den Spielplan und die Stücke darauf in Schulen und Kindergärten zu vermitteln.
Wie das abläuft, erklärt Lukas Keller gern: Wenn eine Klasse sich entschließe, eine der Vorstellungen zu besuchen, könne sie einen Workshop bei ihm buchen. In einer bis anderthalb Stunden führt Keller die jungen TheaterbesucherInnen an die Thematik des Stückes heran und versucht darüber hinaus, die gewählte Form verständlich zu machen. Im „Faust“ vor zwei Jahren stellte sich die Frage, warum Mephisto mit einer Frau besetzt ist. Der Theaterpädagoge versucht, solche Entscheidungen für das Publikum begreifbar zu machen. Gerade wenn SchülerInnen ab der neunten Klasse einen der vielgespielten Klassiker sähen, könne das helfen, ist Keller überzeugt. Oft versuche er die praktische Herangehensweise. Vor dem Besuch von ebendem „Faust“ hätten die Heranwachsenden in seinem Workshop Ideen für eine Inszenierung entwickelt. Beim „Kleinen Horrorladen“ im vergangenen Jahr hätten sie sich mit den Fragen beschäftigt, was ein Musical eigentlich ausmache und damit, wie Comedy funktioniere. Zum Verständnis des aktuellen Stücks „Der Graf von Monte Christo“ – Premiere ist am heutigen Freitag den 16. Juni – will Keller den jungen ZuschauerInnen einen Überblick über die Figuren vermitteln. Sehr bedeutsam sei hier das Motiv der Rache.
Neben zahlreichen Workshops übernimmt Keller Führungen über das Festspielgelände, bei denen auch die Werkstätten einbezogen werden. „Wie entsteht ein Kostüm“, „Was passiert in der Maske“, sei Wissenswertes, was dort erkundet werden könnte. Fragen zu den Inszenierungen möchte Keller in den Nachgesprächen klären, die nach manchen der Aufführungen insbesondere für Schul- und Kitagruppen angeboten werden, aber für alle offen sind. Wie man Schauspieler werde, sei eine der Fragen, die sich immer wiederhole, weiß Keller als Moderator. Mit seinem Studium der Kultur- und Medienbildung in Ludwigsburg und einem Master in Kulturvermittlung mit Schwerpunkt Theater scheint der Hildesheimer, der in Osterode aufwuchs, wie gemacht für solche Talkrunden.
Doch auch jenseits der bekannten Domfestspiele vom 11. Juni bis zum 13. August 2023 hat der Theaterpädagoge gut zu tun. Ferientheaterprojekte über eine Woche für Heranwachsende von sieben bis zwölf Jahren bietet er in Bad Gandersheim und am Kulturbahnhof Uslar an. In Bad Gandersheim wollen die Laiendarsteller vom 24. bis 28. Juli „wahre Helden“ auf die Bühne bringen – sind das wirklich nur die, die ein Heldenkostüm mit den klassischen engen Strumpfhosen tragen? (Anmeldungen mit dem Ferienpass von Bad Gandersheim ab dem 19. Juni unter www.bad-gandersheim.de/stadt-doerfer/wohnen-und-leben/jugendpflege/ferienpass/). In Uslar werden vom 10. bis 14. Juli Märchen im Blickpunkt stehen, hier setzt Lukas Keller auf Schattentheater (Anmeldungen unter projekte@kulturbahnhof-uslar.de). Eintägige Workshops für Improvisationstheater bietet der begeisterte Macher in Kreiensen und Lamspringe an. In seinen zahllosen Projekten könne er auf seine Erfahrung zählen. Und die braucht er, denn er weiß: Selbst der hervorragendste Plan halte der Umsetzung in der Arbeit meistens nicht mehr als fünf Minuten stand.
Seine Hauptarbeit außerhalb der Spielzeit widmet Keller den Amateurtheatergruppen der Gandersheimer Domfestspiele. Hier können Interessierte Einblicke in die Arbeit auf der und rund um die Bühne gewinnen. Mit den Jüngsten, den DOMinis für Kinder ab sieben Jahren, steht Keller kurz vor der Premiere. Zur Eröffnung der Sonderausstellung „Pracht und Paradies. 1.000 Jahre Gartengeschichte“ im Museum „Portal zur Geschichte“ auf dem Klosterhügel Brunshausen werden gut ein Dutzend junge Darsteller zeigen, wie zwei Detektivbanden, selbstverständlich verfeindet, sich zusammentun, um einen Katastrophenfall zu lösen: In „Der rätselhafte Garten der Verbrechen" sind die Bienen aus dem Klostergarten verschwunden! Ob es gelingt, sie wiederzufinden, das bekommen insgesamt 140 ZuschauerInnen in vier schon ausverkauften Vorstellungen zu sehen.
Wo DOMinis proben, können DOMinos nicht weit sein. Das ist der Spielclub für Jugendliche ab 14 Jahren, die spielerisch miteinander experimentieren, um ihre Sicht auf die Welt auf die Bühne zu bringen. Hinter dem Namen ExtraEnsemble verbirgt sich der Club für Menschen ab 25 Jahre, die sich gerne auf der Bühne ausprobieren möchten.
Für die Kleinen gibt es wie in jedem Jahr den Plakatwettbewerb als besonderes Extra: Kinder ab dem Kindergartenalter bis zu Youngsters, die die sechste Klasse besuchen, können ihr Plakat zum diesjährigen Kinder- und Familienstück „Robin Hood“ entwerfen. Wer sein selbstgemaltes Bild für das Stück bis zum 26. Juni abgibt, kann eins von zehn Büchern gewinnen. Die zehn künstlerisch interessantesten Ideen werden laut Keller mit einem Buch belohnt, ihre Plakate sollen öffentlich ausgestellt werden.
Gern denkt der Mann, der viel bewegt, an das Jugendtheaterfestival „raus damit“, bei dem vom 29. Mai bis 3. Juni auf dem Gelände der Landesgartenschau 45 Heranwachsende auch zum gemeinsamen Spiel zusammenkamen. „Wir wollen jungen Menschen zurückgeben, worauf sie in der Pandemie verzichtet haben“, erklärt Keller eine Bedeutung dieses Festivals der Jugend. Zusammengekommen sind mit den DOMinos aus Bad Gandersheim die Jugendclubs am Theater für Niedersachsen aus Hildesheim sowie am „Jungen! Stadttheater“ Braunschweig und der SchauspielclubX der theaterpädagogischen Abteilung vom Mainfranken Theater in Würzburg. Dabei konnten sich die Gruppen ihre Produktionen zeigen und in gemischten Gruppen neue Erfahrungen sammeln – zum Beispiel beim Tanzen, im Kampf oder beim Diskurs im politischen Theater. Das Festival endete mit einer gemeinsamen Aufführung aller Clubs auf der Festspielbühne.
Über all diese Aktivitäten hinaus bietet Keller theaterpädagogische Fortbildungen für MitarbeiterInnen von Kindergärten und Schulen. In Theaterpädagogischen Sprechstunden können sich Amateurgruppen bei ihm Unterstützung für ihre Theaterprojekte holen. Für Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen gibt Keller einmal in der Woche in der Paracelsus Roswithaklinik in Bad Gandersheim einen Theaterworkshop. Im sicheren Rahmen könnten die PatientInnen während ihre Reha-Aufenthalts erste Schritte auf der Bühne versuchen und dabei vielleicht erfahren, dass auch sie unterhaltsam sein können. Er habe es schon oft erlebt, dass Menschen beim Spiel ihre Probleme vergäßen.
„Ich versuche, allen Menschen, die Theater spielen wollen, ihre künstlerische Selbstverwirklichung zu ermöglichen“, sagt einer, der seine Neigung zum Beruf gemacht hat. Er wolle nicht selbst auf der Bühne stehen. Viel spannender ist es aus der Sicht von Lukas Keller, die Geschichte zu verfolgen, die ein anderer erzähle. Und seine unzähligen Projekte zeigen: Dafür gibt er gern Unterstützung und bringt gemäß dem Festspielmotto vielleicht sogar manches Talent zum Blühen.
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