Das französische Liedgenre Chanson ist besonders für seine poetischen, tiefgründigen und emotionalen Texte bekannt. Mit nuancierter Sprache und stichhaltiger Aussagekraft ist Chanson über Jahrhunderte hinweg zu einer modernen Kunstform geworden, die sowohl sozialkritische als auch besonders persönliche Themen behandelt. Wer jenes Genre verfolgt und kennt, dürfte nicht an der Grande Dame des Chansons Barbara aus Frankreich vorbeigekommen sein. Diese zählt zu einer der bedeutendsten Chansonsängerinnen und Songwriterinnen des 20. Jahrhunderts und ist besonders für ihre eindringliche Bühnenpräsenz bekannt.
Dass genau diese Barbara für ein Konzert im Jungen Theater nach Göttingen reisen sollte, ist zwar nur eine von vielen besonderen Ereignissen in ihrer Biographie, für die Kulturgeschichte der Stadt sowie des Theaters dafür umso bedeutender. Diese war nach anfänglicher Skepsis so beeindruckt von ihrem städtischen Aufenthalt gewesen, dass sie das Lied „Göttingen“ schrieb und am 6. Juli 1964 uraufführte. Bis heute ist das Lied als eindrückliches Symbol für die deutsch-französische Freundschaft, Nachkriegsversöhnung und einen lang ersehnten Frieden bekannt. 60 Jahre nach der Entstehung feiert das Junge Theater deshalb nun nicht nur die eigene Geschichte, sondern auch die Göttingens mit ihrem Chansonabend „Barbara“, welcher am 07. November im Jungen Theater sein Debüt feierte. Dabei bot die Konzeption und Inszenierung nach Michael Johannes Mayer einen Auftritt, der sowohl den charmanten Stil der 60er Jahre als auch die emotional-erzählerische Bandbreite des Chansons einfangen konnte. Umso mehr beeindruckt die Authentizität der Darbietung durch die Tatsache, dass dieser gesteht, vorher nicht einmal Französisch beherrscht zu haben.
Wie versiert das Ensemble im Genre Chanson zum Zeitpunkt des Auftritts war, zeigten die Darsteller:innen Katharina Brehl, Thyra Uhde, Michael Johannes Mayer und Jan Reinartz mit einer gesanglichen Darbietung der Extraklasse. Ob dynamisches Duett mit expressiver, tänzerischer Choreographie oder doch besonders tiefsinniges und intimes Solo, die anspruchsvollen Liedtexte, abwechselnd auf französisch und auf deutsch vorgetragen, wurden mit einer chanson-typischen Ausdruckskraft und Poesie vorgetragen, was von Melancholie bis Heiterkeit eine tiefgreifende, emotionale wie ebenfalls mitreißende Atmosphäre im Bühnenraum schaffte.
Genuss echter Klassiker
Die sukzessiven Einstreuungen von Barbaras einzigartiger Biographie gaben dem Auftritt dabei seinen roten Faden. Von einem bewegenden Kindheitstraum von einer Karriere als Sängerin, vernichtenden Kriegserfahrungen durch die Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, dem sturen Festhalten an jenem Kindheitswunsch und obskuren, wiederkehrenden Begegnungen mit Zuhältern hin zu einer der bedeutendsten und einflussreichsten französischen Künstlerinnen des Chansons – Barbaras Präsenz und Einfluss war zu jedem Zeitpunkt spürbar. Doch nicht nur ihre Lebensgeschichte wurde auf der Bühne geteilt, sondern deckungsgleich jene des Genres. Wie die großen Chansonniers der Geschichte wurden ihre Stücke auch hier stilgerecht von einer minimalistischen Instrumentierung durch ein Klavier begleitet. Nach der musikalischen Leitung von Uwe Meile durfte das Publikum in den Genuss echter Klassiker wie „Les Champs-Élysées“, interpretiert von Joe Dassin, oder „Mon Enfance“ von Barbara selbst kommen. Aber auch modernere Künstler:innen wie Zaz wurden mit einer Inszenierung des Liedes „Je veux“ entsprechend gewürdigt.
Den Höhepunkt des Abends bildete dann die Präsentation des bedeutungsvollen Liedes „Göttingen“. Dabei zeigten die Darsteller:innen eindrücklich, wie ein Werk, welches in der Vergangenheit Brücken zwischen Kulturen bauen und historische Wunden heilen konnte, auch zu gegenwärtigen Zeiten noch einen ähnlichen Effekt erzielen kann. Zwar verstarb Barbara im Jahr 1997, mit jener Ehrung und Würdigung ihrer beispiellosen Person mit diesem Chansonabend bleibt ihr Vermächtnis jedoch lebendig und ihre Botschaft zeitlos relevant.
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