Das Theater war für Fabio Rocchio nicht Liebe auf den ersten Blick. Doch seine früheste Bühnenerfahrung pflanzte den dringlichen Wunsch in sein Herz, sich ausdrücken zu wollen. Seit März 2022 betreibt er das freie NICHTnurTHEATER in der Göttinger Johannisstraße 27 – das sicherlich kleinste Theater im ganzen Landkreis.
Zwar sei Goethes Faust sein absoluter Favorit, sagt Fabio Rocchio, aber auf seiner Minibühne unter den tief hängenden Balken des gotischen Fachwerkhauses lässt er sich durchaus auf zeitgenössische Stücke ein. „Endlich mal was Positives“, eine HIV-Geschichte nach dem Buch von Matthias Gerschwitz, stand im Oktober 2022 auf dem Programm, davor etwas mit uralten Wurzeln: Antigone – frei nach Sophokles. Für Frühjahr und Sommer 2023 sind zwei Premieren geplant: Kafkas Brief an den Vater und „Drogenrausch oder nimm doch noch etwas Meth“ aus eigener Feder.
Fabio Rocchio spielt selbst, manchmal zusammen mit weiteren Schauspielkolleg*innen, führt Regie, stattet den kleinen Zuschauerraum auf eigene Kosten aus, hat die Beleuchtung und die Requisiten gekauft, gibt Theater-Workshops und macht die Buchhaltung. Ach ja, und einen Hauptberuf hat er auch noch: Soziale Arbeit.
„Die Schauspielerei wurde mir nicht in die Wiege gelegt, meine Eltern hatten absolut nichts damit zu tun“, sagt der aus dem italienischen Pisticci stammende Allrounder mit den strahlend blauen Augen und erzählt von seinem ersten Bühnenauftritt in der zweiten Grundschulklasse. Ein Jahr zuvor sei seine Familie mit ihm nach Deutschland gezogen. Da er die Sprache im bayrischen Dinkelsbühl noch nicht perfekt beherrschte, bekam er in der Schulaufführung die textlose Rolle als Wolke. „Ich war damals traurig, dass ich nicht richtig dazu gehörte. Aber diese Erfahrung machte mich auch ehrgeizig. Ich wollte gut Deutsch sprechen und verstanden werden. Drei Jahre später haben wir in der fünften Klasse den Nussknacker aufgeführt – und ich bekam die Hauptrolle mit Text und Tanz“, erzählt er lachend. Der Wunsch, Schauspieler zu werden, war da aber immer noch nicht geboren.
Erst als ihn einige Jahre später eine Freundin überredete, an der Schauspielschule in Aachen vorzusprechen, ging es für Fabio Rocchio auch beruflich auf die Bühne. Nach seiner vierjährigen Schauspielausbildung erhielt er Engagements u.a. in Frankfurt, Aachen und schließlich in Göttingen. Dort gefiel es ihm gut, und er blieb in Südniedersachsen - trotz eines attraktiven Angebots in Berlin. „Ich wollte nicht mehr umherreisen und aus dem Koffer leben“, begründet Fabio Rocchio seine Entscheidung.
In der Coronazeit, als alle Kultureinrichtungen geschlossen wurden, stellte er sich auf die Straße, inszenierte ein Autotheater. Das NICHTnurTHEATER wurde geboren, zunächst ohne feste Spielstätte. Doch der Wunsch wuchs, einen Raum zu haben, wo man nicht alles ständig auf- und abbauen müsste. Nachdem die kleine Ladenfläche in der Johannisstraße 27 frei wurde, nahm der Plan vom eigenen Theaterstandort Gestalt an.
„Mein Traum für die Zukunft wäre, dass sich das Theater bis 2024 selbst tragen könnte“, sagt Fabio Rocchio. Die Prognosen zu diesem Ziel sehen gut aus. Immerhin waren bisher alle Vorstellungen ausverkauft. Allerdings gibt es auch nur 22 Plätze auf den Secondhandstühlen aus einem Gemeindezentrum. Eine längere Bank soll vor der Fensterfront Einzug halten, damit ein paar mehr Leute ins Theater passen. Die Bühne besteht eigentlich nur aus einer Nische im hinteren Teil des Raumes, und es gibt keine klare Trennung zum Zuschauerraum. Das schafft Nähe. Als Theaterbesucher*in ist man sofort mitten drin im Geschehen.
Noch eine weitere Idee möchte Fabio Rocchio umsetzen: Da sich seine Schauspiel-Workshops auch sehr gut mit seiner zweiten Berufung Soziale Arbeit verbinden ließen, könnte er ganz neue Schwerpunkte für das NICHTnurTHEATER setzen. Erste Anfragen von sozialen Einrichtungen bestehen bereits.
Aus seiner Bühnenzeit an anderen Spielstätten haben sich einige gute Kontakte entwickelt, sodass Fabio Rocchio auch auf ein kleines Ensemble zurückgreifen kann, um weitere Rollen in seinen Stücken zu besetzen. Oder die Leute aus den Workshops erhalten die Möglichkeit zu einem öffentlichen Auftritt. Zurzeit wird die Premiere von Kafkas Brief an den Vater für Freitag, 31. März 2023, vorbereitet. Beginn ist um 19.30 Uhr (Einlass um 19 Uhr). Wegen der begrenzten Platzzahl sollten sich Theaterfreunde zeitig um Karten kümmern. Für Studierende gilt zudem das Kulturticket der Uni Göttingen – also Einlass für nur einen Euro.
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