Atemberaubende musikalische Show mit Tiefgang

Zur Premiere von "Der große Gatsby" im Deutschen Theater

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Wir befinden uns in der Jazz Age der Zwanziger Jahre. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs hat in New York die große Party begonnen. Alkohol ist offiziell verboten, fließt aber reichlich auf den Landsitzen der Reichen. Das Publikum trifft auf den Erzähler Nick Carraway, gespielt von Moritz Schulze, der nach New York kommt, um seine Karriere an der Wall Street zu starten. Plötzlich findet sich Nick auf den legendären Partys seines schwerreichen Nachbarn Jay Gatsby (Daniel Mühe) wieder und freundet sich mit ihm an. Gerüchte machen die Runde über Gatsbys verschwenderisch großzügigen Lebensstil und seine vermeintlich kriminellen Geschäfte. Eigentlich will Gatsby aber nur seine große Jugendliebe Daisy (Gaia Vogel) für sich gewinnen, die in der Zeit seines gesellschaftlichen Aufstiegs allerdings den reichen Ex-Polospieler Tom Buchanan (Christoph Türkay) geheiratet hat. Gatsby muss schließlich am eigenen Leib erfahren, dass er die Vergangenheit nicht wiederholen kann, und wird Opfer der verdorbenen, oberflächlichen „Old Money“-Gesellschaft.

Zusammen mit der musikalischen Leitung unter Michael Frei schafft es Katharina Ramser gekonnt, den Spirit der Roaring Twenties einzufangen. Das Live-Orchester im Orchestergraben und die aufregenden Tanzchoreografien von Valentí Rocamora i Torà bringen den Glamour und Zauber der Zwanziger Jahre richtig gut zur Geltung. Viele opulente Musicaleinlagen und Jazznummern spiegeln die unterschiedlichen Facetten der Roaring Twenties wider: Es stand nun nicht mehr die Arbeit oder der Krieg im Fokus, sondern Partys und Vergnügen. Durch die Prohibition startete zudem das organisierte Verbrechen mit Schwarzbrennerei. Und natürlich gab es auch viele soziale Missstände, in dem Stück gezeigt durch das „Tal der Asche,“ ein Ödland in dem der arme Mechaniker George Wilson (Roman Majewski) arbeitet.

Pompöse Atmosphäre

Die pompösen Partys werden richtig gut durch die atemberaubenden Tanzchoreografien bei Jazznummern wie „Puttin on the Ritz“ oder „The man with the hex“ demonstriert. Begleitet von lauter und imposanter Big Band Musik live aus dem Orchestergraben sieht das Publikum  professionelle Tänzer:innen in Burlesque-Kostümen wie Michael Tucker oder Mar Sanchez Cisneros, die auf der großen Bühne anspruchsvolle Choreos auf hohem Niveau ausführen. Hier bleiben viele Münder vor Staunen weit offen! Auch die Bühnentechnik trägt viel zu dieser pompösen Atmosphäre bei mit grellen Lichteffekten. Natürlich dürfen bei diesen Nummern keine Gesangsparts fehlen: Katharina Pittelkow und Gatsby himself, Daniel Mühe imponieren hier mit ihren kräftigen Gesangsstimmen, die perfekt zum Jazz passen. Dafür wurden die Darsteller frenetisch bejubelt. In diesen glanzvollen und überwältigenden Szenen schafft es das Ensemble auf überdrehter Weise, den Irrsinn und die Gier nach Lust der Superreichen beinahe perfekt zu visualisieren. Feiern, als gäbe es kein Morgen ist das Motto. Die Zuschauer:innen werden Zeugen, wie gigantisch Gatsbys Partys sind, dennoch beginnt man das verschwenderische und übertriebene Verhalten der Reichen zu verurteilen. Man merkt, dass Katharina Ramser die Themen und Motive von Fitzgeralds Roman genaustens versteht. Zudem könnte die Musikauswahl von Michael Frei kaum passender sein.

Zum Beispiel bietet bereits eine der ersten Musikacts eine wunderbare Interpretation dieser Motive: Die Choreografie zu „Alexanders Ragtime Band“ stellt eine Illustration des Ersten Weltkriegs dar, den die Partyhungrigen Leute verdrängen wollen oder durch Medaillen oder Propaganda beschönigen. Auf bizarre Weise wird dargestellt, wie Moritz Schulze als Nick Carraway von seinem Wehrdienst erzählt und dabei mit Helm und Gewehr in der Hand den Song singt. Währenddessen werden echte Bildaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg auf einen riesigen Vorhang projiziert und weitere Tänzer sind schemenhaft hinter dem Vorhang mit Helm und Gewehr zu sehen. Zusammen mit dem schnellen und energievollen Ragtime wird hier ein richtig dichtes Bild erzeugt, welches zum Nachdenken anregt. Dank der echten Bilder, den Bläsern, die an Militärtrompeten erinnern und der Marschschritt-Choreo fühlt sich diese Szene wie aus einer alten Propaganda-Wochenschau an.

Die Songs und die Choreografien stellen somit die Poesie und Motive des Romans dar, wie auch Verbrechen und Armut. Das organisierte Verbrechen wird dargestellt durch den Song „Minnie the Moocher“, den viele womöglich aus dem Film »Blues Brothers« kennen. Das Lied wird performt von dem zwielichtigen Mr. Wolfsheim, gespielt von Volker Muthmann. In dem verspielten Jazz Song von Cab Galloway, der durch seine Scat-Refrains bekannt ist, gibt es viele Hinweise auf das Drogenmilieu. Somit passt dieser Song hervorragend zum Motiv. Es ist eine Herausforderung bei der Nummer, wie Cab Galloway zu singen und zu performen, Muthmann meistert dies aber Bestens.

Das arme „Tal der Asche“ wird gezeigt durch den Folksong „Man of constant sorrow“, gesungen von Roman Majewski als George Wilson. Der raue Akustikgitarre- bzw. Country-Sound und der Titel allein verraten schon, dass es sich hier um Leid handelt. Auch die Idee einen Folksong zu nehmen zeigt, dass George Wilson mit dem Lied die „normalen Leute“ repräsentiert. Da Majewski seinen Wilson sehr natürlich und authentisch spielt, ist er der Sympathieträger des Stücks, der hart arbeitet und dann viele Schicksalsschläge erleiden muss.

Verkörperung des American Dream

Aber nicht nur George Wilson ist gut getroffen, Gatsby und Nick wurden mit Daniel Mühe und Moritz Schulze großartig besetzt. Die beiden Darsteller gehen richtig in ihren Rollen auf und sehen dank ihrer Kostüme genau so aus, wie man sich Gatsby und Nick vorstellt. Mühe spielt einerseits den coolen und eleganten Gentleman. Auf der anderen Seite wird durch seine Performance klar, dass Gatsby im Inneren ein naiver Träumer ist, der in der Anwesenheit seiner geliebten Daisy weiche Knie bekommt und richtig nervös wird. „Der große Gatsby“ ist hier nicht nur eine Lichtgestalt oder Vision, sondern eine wirkliche Person mit menschlichen Zügen. Das Stück zeigt gut, dass Gatsby kein schlechter Mensch ist, obwohl er durch illegale Machenschaften an sein Vermögen gekommen ist. Durch sein Streben, dass Beste aus sich zu machen und sein unerschütterlicher Kampf um Daisys Liebe wird deutlich, dass er ein Kontrast zur rücksichtslosen reichen „Old Money“-Gesellschaft ist. Er ist die Verkörperung des American Dream. Dies wird auch schön visualisiert durch seinen strahlendweißen Anzug. Mühes Gatsby wirkt wie ein „weißer Ritter.“

Moritz Schulze als Nick Carraway ergänzte Gatsby ausgezeichnet und spielt den Wandel der Figur überzeugend: Zunächst wirkt Schulze als Carraway wie ein parteiloser junger Neuling, der unfreiwillig von einer wirren Situation in die nächste gerät. Später aber spielt Schulze seinen Nick sehr energisch, er blickt hinter die Fassade der reichen Gesellschaft und wirkt schließlich sogar noch erwachsener als Gatsby. Außerdem ist Moritz Schulze ein fantastischer Erzähler, der das Publikum direkt anspricht. Seiner Erzählstimme ist sehr eindrucksvoll und es macht Freude zuzuhören, wie er die Geschehnisse auf Long Island schildert.

Die Dramaturgie des Stücks ist ebenfalls gelungen. Bis zur ersten Hälfte werden schlagartig die fesselnden Tanzchoreografien und Musiknummern gezeigt, sodass man mit einem überwältigten Wow-Gefühl in die Pause geht. Nach der Highlight-Szene „The man with the Hex“, die letzte Partynummer, kommt nach der Pause die „Falling Action“. Die gute Stimmung baut nach und nach ab und es wird deutlich, dass »The Great Gatsby« eigentlich eine Tragödie ist. Es folgen zwei Schockmomente nacheinander: George Wilsons Frau Myrtle, gespielt von Tara Helena Weiß, wird durch den Wagen von Gatsby überfahren. Plötzlich kommt Weiß blutüberströmt à la »Carrie« auf die Bühne und performt den melancholischen Jazz-Song „Better luck next time.“ Dieser schauderhafte Anblick erschreckt und berührt zugleich, eine sehr kreative und starke Szene! Die Tragödie ist aber noch nicht zu Ende: George will Rache und beendet Gatsbys bewegende Gesangsnummer „They can’t take that away from me“ mit einem lauten Pistolenschuss. Da Gatsby nicht einmal seinen Song beenden kann und das Schussgeräusch sehr laut ist, fühlt sich diese Szene verdammt echt an und der Zuschauer bleibt mit einem großen Schock zurück.

Mitreißende Musik- und Tanzeinlagen, eine großartige Besetzung mit glaubwürdigen Schauspielern und eine stimmige tiefgründige Dramaturgie machen »Der große Gatsby« im DT zu einem einzigartigen Theatererlebnis. An jeder Facette merkt man die Liebe zum Detail. Regisseurin Katharina Ramser hat die Motive des Romans zusammen mit dem gesamten Team sehr kreativ auf die Bühne transportiert. Zweifellos eine atemberaubende musikalische Show mit Tiefgang.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin des Kulturbüro Göttingen. Redaktionell verantwortlich sind das Kulturbüro Göttingen sowie dessen Autor:innen.
Verfasser:in

Keanu Demuth

Journalist und Autor beim Kulturbüro Göttingen

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Im Artikel genannt

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Der große Gatsby

Der große Gatsby

Gatsby glaubte an die rauschende Zukunft, die Jahr um Jahr vor uns zurückweicht.

Für den Sound des New York der 1920er-Jahre hatte F. Scott Fitzgerald ein untrügliches Gespür. Im 1922 erschienenen Band »Geschichten aus der Jazz-Ära« hat er Klang und Stimmung dieser Zeit kongenial in Sprache umgesetzt. Aber auch im drei Jahre später erschienen Roman »Der große Gatsby« ist der...

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